Wie ändert sich ein Leben, wenn man im Rollstuhl sitzt? Und wie geht man mit den Grenzen um, die durch das Umfeld und die Umwelt in den Weg gelegt werden? Ins Schneckenhaus verkriechen und abwarten ? Keinesfalls. Grenzen sind dazu da, um sie zu überwinden. Ulrike von Zypresse unterwegs hat ihre gute Bekannte Sabine aus Düsseldorf befragt, der scheinbar kein Weg zu Weit und kein Platz zu hoch ist und die beweisst – auch Wakeboarden ist im Rollstuhl ohne Probleme möglich. Viel Spaß beim Lesen!
Ulrike: Sabine, kennengelernt haben wir uns zu Sommeranfang beim Chartern eines BunBo, eines barrierefreien Bungalowboots, das man auf der Havel mieten kann. Für Dich und Deine Familie mit Hund war es die erste Reise auf dem Wasser, für uns mit dem schwedenroten Boot die dritte Tour. In unserer Törnwoche hatten wir leider nicht nur gutes Wetter, es war entspannend, aber definitiv zu kalt. Davon einmal abgesehen, wie hat es Dir gefallen und wie kommt man als Rollstuhlfahrerin auf einem BunBo klar?
Sabine: Unser Boot war absolut barrierefrei. Es gibt genug Platz, um sich auch mit dem Rollstuhl frei bewegen zu können. Das Bad ist absolut geeignet für jemanden im Rollstuhl mit durchdacht angebrachten Haltegriffen, die ein Umsetzen und Festhalten erleichterten. Und nicht zuletzt gibt es an Bord viele Details, die zeigen, wie sehr man sich bei der Ausrüstung der BunBos gerade um Rollstuhlfahrer und ihre Bedürfnisse Gedanken macht. Anregungen und Hinweise werden offenbar ernst genommen und bei nächster Gelegenheit umgesetzt.
Was uns gefehlt hat waren barrierefreie Anlegemöglichkeiten. Häufig kommt man im Rolli nicht so einfach von Bord oder muss vor der Kaimauer kapitulieren. Und die BUGA machte ein Anlegen in Premnitz ganz und gar unmöglich, schon für das Anfahren des Steges wollte man von allen Bootsinsassen Eintritt – gleichgültig, ob man die BUGA besuchen wollte oder nicht. Das war schade.
Insgesamt hatten wir einen wunderbaren Familienurlaub mit unseren erwachsenen Kindern. Für mich ganz persönlich hätte es ein wenig mehr Action geben können, nur an Bord war es mir etwas zu ruhig.
Ulrike: Sabine, wie seid Ihr früher gereist, habt Urlaub gemacht, bevor Du den Rolli brauchtest?
Sabine: Da haben wir recht spontane Camping bzw. Wohnmobilurlaube gemacht, sind viel unterwegs gewesen, haben nicht alles geplant sondern uns auch einfach treiben lassen. Das klappt nun nicht mehr so einfach.
Wir haben immer schon gern und viel besichtigt: Kultur, Städte, Museen, haben Märkte besucht oder auch Menschen beobachtet. Gelegentlich stand auch Sport auf der Tagesordnung. Das hat sich aber eigentlich auch nicht geändert.
Ulrike: Was wünschst Du Dir als Rolli von Reiseprofis wie Airlines, Hotels, Reiseveranstaltern usw.?
Sabine: In erster Linie wünsche ich mir eine kompetente Beratung durch Reisebüro und -veranstalter auch bei den besonderen Bedürfnissen von Menschen im Rolli. Da haben wir festgestellt, dass man sich zwar viel Mühe gibt und sicher guten Willen hat. Viele Dinge verstehen die Fachleute dennoch entweder nicht, sie denken nicht wirklich darüber nach oder sehen auch einfach über etwas hinweg.
Dabei ist es doch eigentlich recht einfach. Wenn wir ein Urlaubsziel suchen, dann sollte die Unterkunft und auch deren Umgebung es mir ermöglichen, mich selbstständig zu bewegen. Ideal wäre ein Zimmer, bei dem Bad und Toilette an Rollis angepasst sind. Und wenn dann noch das reservierte barrierefreie Zimmer nicht aus Gedankenlosigkeit vom Hotel an nicht-behinderte Gäste vergeben wird steht unserer Erholung nichts im Weg.
Beim Fliegen finde ich ein Preboarding wichtig – es ist nämlich kein schönes Gefühl, wenn man als Rollstuhlfahrer durch ein voll besetztes Flugzeug transportiert wird, mehrere Passagiere aufstehen müssen und für das eigene Handgepäck in der Nähe kein Platz mehr vorhanden ist. Schließlich hat man dort Dinge verstaut, die man unterwegs benötigt.
Und was gar nicht geht: wenn man bei Buchen des Fluges, beim Check-in und auch beim Einstieg nach dem Bordrollstuhl fragt (den man benötigt, um im Flugzeug auch als Rolli die Bordtoilette nutzen zu können) und im Ernstfall dann mitgeteilt bekommt: „Ja, den haben wir dabei, der ist im Frachtraum. Den können wir Ihnen erst nach der Landung zur Verfügung stellen.“
Ulrike: Gibt es Erfahrungen, die Du gern mit anderen teilen willst, gibt es Tipps, die Du anderen Menschen für barrierefreie Reisen geben kannst?
Sabine: Lieber alles dreimal nachfragen, denn unsere Erfahrungen zeigen, dass wir für andere mitdenken müssen. Insgesamt gilt für das Reisen mit Rolli dass man mehr planen muss. Eine unvorbereitete Reise ist mit einem Rollstuhl wenig empfehlenswert.
Ulrike: Auf Deiner Facebook-Seite habe ich neben den wunderbaren Fotos von der Havel auch Bilder entdeckt, über die ich erstaunt war: Sabine im Neopren-Anzug auf einem Wakeboard beim Wasserskifahren oder in luftiger Höhe beim Parasailing. Kann man das als Rollstuhlfahrer wirklich machen? Erzähl doch mal.
Sabine: Ich habe früher Yoga gemacht und ich bin auch Motorrad gefahren. In den letzten Jahren habe ich dann als Ausgleich zum Stress im Beruf Ausdauersport wie Halbmarathon für mich entdeckt. Früher hatte ich Angst vor dem Wasser, jetzt im Rollstuhl ist Wasser mein Element geworden. Insgesamt mag ich gern experimentieren und meine Grenzen austesten. Ich will ausprobieren, was alles mit dem Rollstuhl geht.
Das Parasailing war in Kroatien mit einem ganz sanften Start und Landung an Bord eines Motorbootes. Man ist prima durch ein Geschirr und eine Schwimmweste gesichert. Für dieses Abenteuer braucht man keine Beine. Und es war einfach toll: man schwebt hoch oben in der Luft, es ist ganz still, unten glitzert das Meer.
Wakeboard fahren geht in der Nachbarschaft, in Langenfeld (Anm. d. Red: Link in Infobox) . Das Wakeboardfahren für Rollstuhlfahrer wird von einem Sanitätshaus gesponsert, so bin auch ich darauf gestoßen. Drei Rollstuhlfahrer haben mehrere Boards umgebaut. Sie fahren nicht nur selbst, sie ermöglichen auch anderen Rollis das Erlebnis. Mir hat das viel Spaß gemacht. Ich habe zu Beginn eine ausführliche und gute Erklärung bekommen. Beim Start gab es zunächst auch Hilfe. Toll war mit viel Geschwindigkeit über das Wasser zu sausen. Da macht das Grenzen austesten richtig Spaß.
Als nächstes möchte ich das Fallschirmspringen ausprobieren. Mal schauen, wie das wird. Und ich bekomme jetzt ein Handbike, darauf freue ich mich schon sehr.
Ulrike: Und zum Schluss muss sie einfach kommen, diese Frage: wohin geht Eure nächste Reise?
Sabine: Die nächste Reise ist noch nicht geplant, aber es zieht uns in die Sonne, dem tristen Grau des Winters entfliehen. Vielleicht mache ich aber auch einen Skikurs.
Und als größere Reiseziele stehen auf unserer Wunschliste Thailand und USA. Mal sehen, wann das klappt.
Wichtig finde ich, nicht aus den Augen zu verlieren, was man auch früher schon gern gemacht hat. Meine Erfahrung zeigt, dass ganz vieles auch mit dem Rollstuhl geht. Man muss es nur wagen, man muss den Mut haben, es für sich auszuprobieren.
Mein Motto bleibt: wenn eine Tür sich schließt öffnen sich neue Türen. Die Grenzen sind viel weiter als es zunächst aussieht.
Vielen Dank an Ulrike und Sabine für das Interview und für die Fotos an Christoph Klemens!!!
Ich kenne ebenfalls einige Personen im Rollstuhl. Daher finde ich es interessant zu lesen, wo beim Reisen die größten Probleme liegen. Man sollte annehmen, dass die BUGA barrierefrei wäre.
Vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema Rollstuhl. Ich informiere mich gerade zu Reisen ohne Barrieren. Interessant, dass sogar Wakeboarden im Rollstuhl ohne Probleme möglich ist.
Wir sind für meine Schwester gerade dabei ein barrierefreies Bad zu planen. Nun brauchen wir nur noch einen passenden Ansprechpartner für Sanitärinstallationen. Das wird sie sicherlich sehr glücklich machen, so eine Reise trotz Rollstuhl wäre aber ein wahrer Traum für sie.
Vielen Dank für diesen wirklich aufschlussreichen, und menschlich verfassten Artikel. Mir war, privilegierter Weise nicht bewusst, wie ‚Rollis‘ z. B. Flüge erleben. Ich musste mich erst sehr kürzlich mit dem Thema Barrierefreiheit beschäftigen, da mein Vater immer mehr Schwierigkeiten mit dem Gehen hat, und eine barrierefreie Badsanierung mitunter sinnvoll erscheint. So weiß ich bereits im Voraus, worauf wir bei eventuellen Reisen achten müssen. Tausend Dank und LG!
Ein Freund von mir sitzt sich im Rollstuhl. Er erzählt auch ähnliche Geschichten, wie es ist, im Rollstuhl unterwegs zu sein. Vor allem die Rollstuhlfahrt macht ihm viel Spaß.
[…] Teilzeitreisender: Aktiv im Rollstuhl – Reisen ohne Grenzen – Ein Interview […]
Wow! Toller Artikel! Besonders die Aktion mit „dem Wasserski“ find ich super! :) bin momentan auf der Suche nach interessanten Campingplätze Deutschland , keine ahnung wie google mich hier hergeleitet hat^^…aber sehr lesens- und bewundernswert! :) LG und noch eine schöne Adventszeit! :) Nora