Demokratie zum Anfassen
Vorab: Das Haus der Geschichte in Bonn ist ein Museum wie aus dem Lehrbuch für moderne Museumspädagogik. Klug konzipiert, klar strukturiert, genügend Elemente, um alle Sinne anzusprechen. Anfassen ist (teilweise) ausdrücklich erlaubt. Die Audioguides sind kurzweilig und informativ und der Rundgang durch die neuere Geschichte Deutschlands klar in verschiedene Epochen eingeteilt. Kurzum: Absolut sehenswert.
Inhaltsverzeichnis
„Ein großer Wurf“
„Ein großer Wurf“ ist nicht nur die Ausstellung zum Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“, sondern das Haus der Geschichte insgesamt. Es lädt zu einer kostenlosen Zeitreise seit 1945 ein: Die Ausstellung beginnt mit den Nachkriegsjahren, Neuanfängen und der Teilung Deutschlands.
Weiter geht es in klare Abschnitte unterteilt: Warum entstand der Kalte Krieg? Wie entwickelten sich die beiden deutschen Staaten und welche Verbindungen gab es zwischen Bundesrepublik und DDR? Was führte zur Wiedervereinigung und welchen Herausforderungen steht Deutschland seitdem gegenüber?
Kluge Aufteilung in Epochen
Verschiedene politische Ereignisse und Entwicklungen bilden den Leitfaden der Ausstellung, darunter die Teilung Deutschlands und die Spannungen zwischen Ost- und Westdeutschland, der wirtschaftliche Aufschwung im Westen, Ölkrise in den 70er Jahren, RAF-Terror und wie sich die Rolle der Frau im realen Leben, aber auch der Werbung ändert.
Beim Schlendern durch das Haus vom Erdgeschoss im großen Bogen nach oben begegnen Besuchern vielfältigen Objekten aus Alltag, Kultur, Wirtschaft und Weltgeschehen.
Beispiele dafür: Ein Rosinenbomber, Werbe- und Firmenplakate und DAS Beispiel für den Wirtschaftsaufschwung schlechthin, ein VW-Käfer der ersten Generation.
Alle wollen einen Käfer
Der Traum vom eigenen Auto war das Synonym schlechthin, dass die Kriegsjahre mit Hunger und Entbehrungen hinter den Menschen liegen. Bereits wenige Wochen, nachdem die drei westdeutschen Besatzungszonen durch Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 zum westdeutschen Teilstaat Bundesrepublik verschmolzen waren, kam zum bisherigen VW-Standardmodell eine zweite Variante hinzu, das sogenannte Export-Modell, sichtbar an der verbesserten Innenausstattung, verchromten Stoßstangen und zarten Zierleisten.
Die Massenfertigung lief wie am Schnürchen. Schon nach vier Jahren waren mehr als eine halbe Million Käfer vom Fließband gelaufen, 1955 die erste Million geknackt 1962 bereits fünf Millionen Käfer.
Sitzen wie ein Parlamentarier im Haus der Geschichte
Wem die Füße wehtun, ruht sich entweder auf einem der Schwingstühle mit „Bauchladen“ aus, auf dem die Parlamentarier im Plenarsaal von 1949 bis 1967 saßen, oder im 50er Jahre-Kino aus und schaut sich alte Werbespots an.
Wer mag, legt Rock’n’Roll-Klassiker an der Jukebox auf und schwelgt – wenn man / frau alt genug ist – von der Hippie-Bewegung beim Blick auf den VW Bulli. Es werden sowohl kleine, private Geschichten erzählt, aber natürlich auch große zeitgeschichtliche Ereignisse wie der Besuch von Staatshäuptern, den Zwei plus Vier Verhandlungen.
Auf den Monitoren berichten Zeitzeugen von ihren Erlebnissen, Erinnerungen an ihre Jugend und das unterschiedliche Leben in West- und Ostdeutschland.
Geschichtsunterricht in 30 Sekunden
Für alle, die im Geschichtsunterricht eher verträumt aus dem Fenster geschaut haben, hier noch mal ein kurzer Abriss, was es mit 75 Jahre Grundgesetz auf sich hat: Am 1. September 1948 trat in der Pädagogischen Akademie in Bonn der Parlamentarische Rat zusammen, um ein Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland zu erarbeiten. Am 23. Mai 1949 wurde es in Bonn feierlich unterzeichnet. Die Landesregierung Nordrhein-Westfalens hatte im Sommer 1948 die Düsseldorfer Fotografin Erna Wagner-Hehmke beauftragt, die Arbeit des Parlamentarischen Rates zu dokumentieren. Ihre schwarz-weiß-Fotos zeigen die Beratungen. So weit, so kurz.
Geschichtsunterricht in drei Minuten
Die etwas längere Version für all diejenigen, die es gerne etwas genauer wissen möchten: Beim Auftakt am 1. September 1948 im Bonner Museum Koenig begrüßte Karl Arnold, der damalige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, die Gäste mit den Worten: „Wir beginnen mit dieser Arbeit in der Absicht und dem festen Willen, einen Bau zu errichten, der am Ende ein gutes Haus für alle Deutschen werden soll.“ Nach neunmonatiger Arbeit gab sich Deutschland schließlich eine neue Verfassung.
Die Vorarbeiten hierzu hatte der „Herrenchiemseer Verfassungskonvent“ gelegt. Dieser Konvent tagte vom 10. bis 23. August 1948 auf der Chiemsee-Insel in Bayern. Der Parlamentarische Rat lehnte sich dann eng an dessen Entwurf an, in dem die Umrisse des späteren Grundgesetzes bereits enthalten sind, inklusive Benennung der Bundesorgane (Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Bundesregierung, Bundesverfassungsgericht).
Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates haben dann den Grundgesetz-Entwurf am 8. Mai verabschiedet. Konrad Adenauer, Präsident des Parlamentarischen Rates, unterzeichnete dann am 23. Mai 1949 das Grundgesetz im Turnsaal der Pädagogischen Akademie in Bonn. Es war übrigens das letzte Mal, dass der Parlamentarische Rat in Bonn tagte. Neben den elf Ministerpräsidenten und den Landtagspräsidenten waren auch Vertreter der alliierten Besatzungsmächte und Ehrengäste anwesend.
Dank an die Alliierten
Die Verkündung des Grundgesetzes war mehr ein Festakt als eine Plenarsitzung: Es wurde Musik von Georg Friedrich Händel gespielt und Rundfunkstationen übertrugen die Veranstaltung. Mit Ablauf des 23. Mai – also einen Tag später – trat das Grundgesetz in Kraft.
Präsident Konrad Adenauer sagte damals: „Heute, am 23. Mai 1949, beginnt ein neuer Abschnitt in der wechselvollen Geschichte unseres Volkes: Heute wird nach der Unterzeichnung und Verkündung des Grundgesetzes die Bundesrepublik Deutschland in die Geschichte eintreten. Wir sind uns alle klar darüber, was das bedeutet. Wer die Jahre seit 1933 bewusst erlebt hat, wer den völligen Zusammenbruch im Jahre 1945 mitgemacht hat, wer bewusst erlebt hat, wie die ganze staatliche Gewalt seit 1945 von den Alliierten übernommen worden ist, der denkt bewegten Herzens daran, dass heute, mit dem Ablauf dieses Tages, das neue Deutschland entsteht.“
Nur die Geschichte des Siegers?
Die Wiedervereinigung von Deutschland spielt natürlich auch eine große Rolle im Haus der Geschichte. Während in vielen Museen die Geschichte oft aus der Sicht des „Siegers“ erzählt und interpretiert wird, bemüht sich das Haus der Geschichte um eine Darstellung der unterschiedlichen Facetten.
Im Großen und Ganzen gelingt dies recht gut. Auch der Zettel von SED-Politbüro-Mitglieds Günter Schabowski, den er am 9. November 1989 bei der Pressekonferenz in Ostberlin in der Hand hielt, ist zu sehen. Und natürlich auch das Video dazu. Hier sagt er die berühmten Worte: „Das tritt nach meiner Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“ Auf dem Zettel stehen drei Wörter, offenbar eilig mit der Hand geschrieben, unten auf dem linierten Blatt. „Verlesen Text Reiseregelung“. In Großbuchstaben darunter noch das Wort „EXTRA“.
Fazit im Museums-Café
Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes ließen einen bis heute bedeutsamen Text entstehen, der auch den internationalen Vergleich mit anderen demokratischen Ländern nicht zu scheuen braucht.
Bereits der Anfang macht unmissverständlich deutlich: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Apropos Demokratie. Hierzu sagte Bundespräsident Theodor Heuss: „Was heißt Demokratie als Lebensform? Doch nur dies: dem Menschen, gleichviel wer er sei und woher er käme, als Mensch zu begegnen.“ Und so ist das Haus der Geschichte in Bonn auch ein Haus der Begegnung. Die Ausstellung „75 Jahre Grundgesetz“ ist bis Ende September 2024 zu sehen.
Der Beitrag „75 Jahre Grundgesetz im Haus der Geschichte in Bonn“ ist wirklich etwas ganz Besonderes. Er bietet einen spannenden und informativen Blick auf das 75-jährige Jubiläum des deutschen Grundgesetzes und stellt dessen historische und aktuelle Bedeutung wunderbar anschaulich dar. Die ausführlichen Beschreibungen der Ausstellungsstücke und die verschiedenen Perspektiven machen den Artikel zu einem wahren Schatz. Die lebendige Darstellung des Ausstellungsaufbaus und die Diskussion der wichtigsten Verfassungsprinzipien machen den Artikel spannend und lehrreich. Insgesamt ist es eine herausragende Würdigung des bleibenden Erbes des Grundgesetzes.
Ein großes Kompliment für diese hervorragende Leserführung!