Das langsame Sterben der Märchenwälder

Das langsame Sterben der Märchenwälder

Als ich klein war, löste die Ankündigung, dass wir einen Märchenwald besuchen werden, pure Begeisterung bei mir aus. Ich liebte Märchen, kannte das Grimmsche Märchenbuch ebenso auswendig, wie die Geschichten von Hans Christian Andersen und sog auch Sagen und Legenden nur so in mir auf. Waldgeister, Feen, Prinzessinen und Prinzen, als Kind fühlte ich mich in dieser Welt, in der am Ende immer alles Gut wurde und die Bösen ihre gerechte Strafen erhielten, zu Hause. Glücklicherweise hatte ich Eltern, die mir geduldig vorgelesen haben, und mir sehr früh einen Kassettenrekorder und zu jeder Gelegenheit Märchenkassetten schenkten.

Märchengarten Ludwigsburg
Märchengarten Ludwigsburg

Kinder und ihre Märchenwelten

Meine Kinder haben diesen besonderen Zugang zur Märchenwelt nicht bekommen, es ist eben eine andere Zeit, mit anderen Geschichten. Ich glaube, jede Zeit hat ihre eigenen Helden und die meiner Kinder waren eben Lillifee und Spiderman.

Dennoch wurde ich natürlich nicht müde, ihnen auch immer wieder die Märchenwelt näher zu bringen. Denn Märchen zu kennen, das gehört irgendwie auch zu unserem Kulturgut, finde ich.

Neben regelmäßigen Vorlese-Stunden gehörte dann auch mein einst so geliebter Besuch im Märchenwald dazu. Als Torben noch ein Kleinkind war, wollte ich mit ihm nach Melle fahren, dort – so erinnerte ich mich – gab es einen schönen, kleinen Märchenwald direkt neben der Freilichtbühne. Mit meinen Eltern war ich dort als Kind zu Besuch gewesen. Doch ich fand in der Stadt keine Hinweisschilder, folgte also denen zur Freilichtbühne.

Doch der Park war verschwunden. Mein Kind auf dem Rücksitz weinte und weinte, so enttäuscht war er, dass der Ausflug ins Wasser fallen sollte. Mir blieb nichts anderes übrig, als zurück auf die Autobahn und den weiter entfernten Märchenwald in Ibbenbüren anzusteuern. Das ist jetzt über 11 Jahre her. Ein Einzelfall dachte ich.

Doch dann fragte mich eine Bekannte nach einem Tipp, sie wolle mit ihrer kleinen Tochter in einen Märchenwald, wüsste aber in der Nähe keinen mehr, ausser eben Ibbenbüren, den sie aber schon kannten. Ich suchte, googelte und musste mich doch ratlos zurückmelden. In dem Umkreis, den sie fahren wollte, gab es nicht einen einzigen Märchenpark mehr.

Märchenpark am Arber See – eine düstere Zeitreise

Doch das Schlüsselereignis, warum ich mir diese Gedanken machte, war ein Besuch im Märchenpark am Arber See im Bayrischen Wald. Finja und ich haben einen Ausflug dorthin unternommen, eigentlich um uns den See anzusehen und dort etwas zu laufen, als wir den Park an der anderen Seite des großen Parkplatzes entdeckten: Zwei kleine Holztürme und ein Tor wiesen mit einem Zettel dran: „Geöffnet bis Ende Oktober 2015“. Neben dem Eingangstor stand eine Figur der Sagengestalt Mühlhaisl, ein Waldprophet. Gegen Einwurf von 50 Cent hätte man sich wohl seine Vorhersagen anhören können, das war es mir in dem Moment aber nicht wert. Bis der Park öffnete, dauerte es noch knapp eine Stunde und so steuerten wir zunächst den See an.

Später fragte ich dann Finja, ob wir uns den Park ansehen wollen, aber sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, das sieht dort irgendwie seltsam aus. Ich glaube auch gar nicht, dass der überhaupt noch geöffnet hat.“ Nanu, so kannte ich meine Tochter gar nicht. Normalerweise ist sie immer begeistert, wenn ich dergleichen vorschlage, aber dieses Mal reagierte sie überraschend verhalten.

Doch wir hatten noch etwas Zeit bis der Bus kam und so standen wir kurze Zeit später an dem kleinen Kassenhäuschen. Und kaum das wir uns versahen, wurden wir in die 60er/70er Jahre katapultiert, in denen der Park augenscheinlich gegründet wurde. Schon die Kasse war klein, vollgestellt mit Souvenirs und Andenken, die wohl seit Jahren vergeblich auf einen Käufer gewartet haben. 2,50 € zahlte ich für meine Karte, für Finja 1,50 € – auch die Preise schienen aus einer anderen Zeit zu sein.

Märchenfigur im Märchenwald
Märchenwald in Bayern

Der Weg führte als Rundweg durch den Wald, Szenen und Figuren waren nicht nur in kleinen Häuschen ausgestellt, sondern auch direkt im Wald, als würde es sich genau in diesem Moment so ereignen. Von der Art her, gefiel mir das wirklich gut. Dennoch, irgendetwas stimmte hier nicht. Wir hatten das Gefühl einen Lostplace zu besuchen, einen Ort, dessen Glanz schon vor langer Zeit verblasst ist. Die Wege waren uneben, weil sich die Wurzeln der Bäume ihren Platz durch die Wegplatten zurück erobert hatten. Die Figuren waren Zeugen einer anderen Zeit, und – da muss ich Finja recht geben – sie machten einen gruseligen Eindruck. Je weiter wir in den Wald vordrangen, desto düsterer und unheimlicher kamen uns auch die Figuren vor.

„Das ist kein Märchenwald, das ist ein Gruselwald“

flüsterte sie mir zu. „Lass uns bitte schnell gehen“, sagte sie und nahm meine Hand. Kleine Fahrzeuge standen verlassen da, als wäre lange kein Kind mehr drauf gefahren und auch das kleine Kinderketten-Karussell hat scheinbar schon seit einiger Zeit keine Kinder mehr durch die Luft gewirbelt. Von all dem wollte auch meine Tochter nichts wissen. Nach nicht mal einer halben Stunde verließen wir den Park bereits wieder.

Gespenstisch. Und auch traurig. Was war passiert? Warum ist dieser Ort einen langsamen Tod gestorben und schon vor seiner Zeit, ein lebloser Lostplace geworden?

Vergessene Märchenwälder
Vergessene Märchenwälder

Sind Märchen „out“?

Wahrscheinlich sind unsere Kinder keine Ausnahmen, was ihre Helden betrifft. Doch sind Märchen einfach nur aus der Mode gekommen? Wie alles, haben Märchen sich verändert, sie passen sich dem Hier und Heute an. Bereits Astrid Lindgren hat es vorgemacht: Mädchen sind mutig, stark, frech und wild. Wir wollen unsere Töchter heute nicht mehr als das unselbständige Mädchen erziehen, die schicksalsergeben auf ihren Traumprinzen wartet, der sie aus einer meist misslichen Lage befreit. Mädchen sollen sich behaupten können. Wahrscheinlich passt dieses Mädchen- bzw. Frauenbild nicht mehr in unsere Zeit und wird daher von den Kindern bereits als antiquiert abgelehnt.

Möglich ist auch, dass es ein Helden-Überangebot gibt. Kinder haben eigene Fernsehsender, die den ganzen Tag Programm bereit halten. Bücher, CDs – die Auswahl war nie so groß wie heute. Märchen und Geschichten sind also nicht aus der Mode, sie haben sich nur weiterentwickelt und sind in der heutigen Zeit angekommen.

Doch wie geht man als Märchenpark mit der Zeit?

Kann man das überhaupt? Harry Potter oder Anna und Elsa dort zum Leben zu erwecken, würde mit Sicherheit dafür sorgen, junges Publikum zu begeistern, doch solche Vorhaben scheitern bereits im Vorfeld an den Lizenzen und Urheberrechten.

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Auch in Bad Harzburg gibt es einen Märchenwald – leider etwas in die Jahre gekommen.

Hinzu kommt, dass sich die Freizeitkultur weiterentwickelt hat. Haben Kinder (und Eltern) noch die Geduld, sich ein Märchen anzuhören, bevor es zur nächsten Station weitergeht? Das Konzept an sich scheint den Anforderungen von heute nicht mehr gewachsen zu sein. Interaktives Mitmachen, das ist in vielen Freizeiteinrichtungen bereits Standard – Ruhe und Zuhören, das scheint nicht mehr gefragt zu sein.

Doch ich will mich nicht damit anfinden, dass ich mit meinen Enkeln keinen Märchenwald mehr besuchen kann. Ist das Märchenwald-Sterben noch aufzuhalten?

Lieber Märchenwaldbetreiber,

ihr, die ihr Eure Aufgabe mit so viel Herzblut und Engagement ausübt, gebt bitte nicht auf. Es gibt sie noch, die Kinder, die sich die Nasen an den Fenstern von Aschenputtel plattdrücken, die die nachzählen, ob sich wirklich sieben kleine Geißlein verstecken und die, die eine Münze in den Brunnen vom Froschkönig werfen und sich mit zugekniffenen Augen etwas wünschen. Woher ich das weiß? Weil ich zu der Märchenliebenden Mama-Generation gehöre, die nicht müde wird, ihren Kinder wieder und wieder Märchen zu erzählen.

Damit habe ich meine Aufgabe erfüllt, und jetzt seid ihr dran: Bitte lasst eure Figuren nicht verfallen. Auch wenn sie vor 30 Jahren einmal schön und modern waren, heute sind sie es nicht mehr. Im Gegenteil, ich bin sicher, nicht nur meine Tochter hat Angst vor Figuren mit duklen Augenringen und leblosem Blick. Neue Kleidung, frisches „Make-Up“ und eine Einrichtung, wie sie die Kinder von heute kennen und mit wenigen Handgriffen wird aus einer angestaubten Szene, ein Hingucker, in dem sich die Kinder von heute wiedererkennen können. Danke!

Sehenswerte Märchenwälder

Schöne Märchenwälder mit nostalgischem Charme, die kleine und große Besucher auch heute noch in die Zeit versetzen „als das Wünschen noch geholfen hat“ gibt es beispielsweise hier

HeidelbergIbbenbürenLudwigsburg
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Märchen Paradies

Tipp: Mit der Heidelberger Bergbahn gelangt man bequem auf den Königsstuhl hinauf. Der Ausflug kann sehr gut mit einem Besuch des Heidelberger Schlosses verbundgen werden.

Hinweis: Winterpause bis März.

Eintritt: 5 Euro für Erwachsene, 4 Euro für Kinder

Märchenwald Ibbenbüren

Tipp: Hier gibt es auch eine Sommerrodelbahn!

Hinweis: Winterpause bis Anfang April

Eintritt: 4,50 Euro für Erwachsene und Kinder

Märchengarten

Der Märchengarten liegt am Schlosspark „Blühendes Barock“, und ist einmalig schön, mit vielen, sehr unterschiedlichen Stationen

Hinweis: Winterpause für den Märchengarten

Eintritt (inkl. Schlosspark): 9 Euro Erwachsene, 4,50 Euro Kinder (Es gibt auch Familienkarten)

Falls ihr noch einen schönen Märchenpark kennt, schickt mir doch bitte den Link, dann nehme ich ihn gerne in meine Liste mit auf.

Yvonne

Yvonne und ihre Familie sind ständig auf der Suche nach besonderen Sehenswürdigkeiten für Familien. Den Norden haben sie schon erobert.

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