Die Moorerlebnisroute mit dem Rad erleben.

Die Moorerlebnisroute mit dem Rad erleben.

Vor gut 200 Jahren war fast der gesamte Nordwesten Deutschlands ein riesengroßes Moor, um das die Menschen lieber einen großen Bogen machten. Eine Ahnung von diesem Moor bekommt man heute noch in Naturschutzgebieten. Das größte ist die Esterweger Dose.

Moorerlebnisroute

Unser Gast-Autor Wolfgang hat sie mit dem Rad auf der „Moorerlebnisroute“ umrundet und sich danach in einem Moorbad entspannt.

Mein Weg ins Moor führt über den Hausarzt.

Ich möchte ein Moorbad nehmen, in Bad Zwischenahn bei Oldenburg – und werde gebeten, eine „ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung“ vorzulegen. Nun denn. Ob ich schon mal in einer Sauna war, fragt mein Hausarzt. Und, gut vertragen? Ja, habe ich. Dann horcht er mein Herz ab. Es pocht regelmäßig. Mit dem Attest in der Tasche verlasse ich seine Praxis.

Noch allerdings muss Bad Zwischenahn warten. Vorher wollen wir das Moor umrunden, mit dem Fahrrad auf der „Moorerlebnisroute“. Vom Oldenburger Münsterland rüber nach Ostfriesland, dann runter ins Emsland und wieder zurück ins Oldenburger Münsterland. Einmal ganz rum um die Esterweger Dose, eine der größten zusammenhängenden Moorflächen Deutschlands. Rund 100 Kilometer, für die wir zwei Tage veranschlagt haben. Mit dem E-Bike eigentlich kein Problem, die Einfahrt von Esterwegen ist der einzig ernstzunehmende Anstieg, der Ort liegt auf einem Geestrücken, soviel vorweg. Was man allerdings vorher nie so genau weiß: Wie wird das mit dem Wind? Wir haben Glück, mit uns ist er gnädig.

Die Moorerlebnisroute startet für uns in Barßel

Unsere erste Station: Barßel, das Seemannsdorf fernab der Küste. Früher war hier fast jede Familie mit der Seefahrt verbunden, aus Barßel kamen viele Kapitäne, die auf den Weltmeeren unterwegs waren. Am Hafen ein Schild mit einem Kiebitz: unser Wegweiser in den nächsten Tagen. Außerdem gibt es ja das Knotenpunktsystem. Überall dort, wo sich zwei oder mehrere Wege kreuzen, existiert ein sogenannter Knotenpunkt. Jeder dieser Punkte hat eine Nummer, von 1 bis 99. Man muss sich also nur ein paar Nummern auf einem Zettel notieren, und schon kann es losgehen. Die Idee kommt aus Belgien. Dort dienten die Punkte einst im Bergbau als Orientierungshilfe unter Tage, bis ein findiger Kopf erkannte, dass dieses System auch oberirdisch von großem Nutzen ist, speziell für Radfahrer.

Die Moorerlebnisroute mit dem Rad erleben.

Wir radeln die „Moorerlebnisroute“ gegen den Uhrzeigersinn, gehen das Ganze quasi chronologisch an. Und kommen schon nach wenigen Kilometern zum ältesten Bau weit und breit: der Johanniterkapelle Bokelesch. Der schlichte backsteinerne Bau gehört zu den letzten Zeugnissen einer einst vielfältigen Klosterlandschaft. Inmitten einer unwirtlichen Gegend beteten die Mönche und Nonnen für das Seelenheil der Friesen. All jene, die von Pest oder Cholera gebeutelt wurden, durften die Messe durch ein Hagioskop verfolgen, eine kleine Maueröffnung neben dem Eingang.

Gut zu wissen!

Radkarte und Routenführer können bestellt werden bei der Interessengemeinschaft Moorerlebnisroute e.V., Telefon 04499/938080. Fahrräder verleiht die Paddel- und Pedalstation am Barßeler Hafen, Telefon 0174/5459734. Unbedingt vorher reservieren!

Immer am Kanal lang: Fehngemeinden

Ein langer Kanal, parallel dazu eine Straße, eine weiße Zug- oder Drehbrücke – so ungefähr sieht eine typische Fehngemeinde aus. Der Ortsmittelpunkt ist meist dort, wo sich zwei Kanäle oder Straßen treffen, wie in Holterfehn, einer von knapp 20 ostfriesischen Fehngemeinden, die zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert gegründet wurden. Meist ist in der Ortsmitte auch eine Kirche, eine Mühle oder doch wenigstens eine Gaststätte.

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Wir kehren ein bei „Meyerhoff“, ein Familienbetrieb seit 1875. Früher war vor dem Haus eine Zugbrücke, erzählt Frau Meyerhoff, da machten hier die Schiffe fest, beladen mit Torf. Heute nächtigen hier Gäste, die auf der „Deutschen Fehnroute“ oder der „Moorerlebnisroute“ unterwegs sind. Im Restaurant sind wir die einzigen Gäste – und werden überrascht: Die „Ostfriesische Fischpfanne“ würde jedem großstädtischem Gourmettempel zur Ehre gereichen.

Dazu eine große Pfanne mit Bratkartoffeln, wie man sie in dieser Gegend gerne isst, mit Speck und Zwiebeln. Reinste Bergsteigernahrung, brauchen wir eigentlich nicht, aber für die Menschen, die hier früher die Kanäle aushoben und den Torf abbauten, war es der Inbegriff einer anständigen Mahlzeit.

Weitblick im Jammertal

Nichts gegen Rhauderfehn, der nächsten größeren Gemeinde auf der Strecke, uns aber steht der Sinn nach Natur. Wir nähern uns dem Jammertal, ein Name, der nichts Gutes verheißt. Eigentlich ist es auch kein Tal, auch wenn ganz in der Nähe sogar eine Bergstraße ist, warum auch immer. Zum ersten Mal sehen wir die Esterweger Dose, eine unendlich weite Ebene, der Himmel spiegelt sich in den Wasserflächen. Dose ist ein altes Wort für Hochmoor. Einst bedeckte es weite Flächen im Nordwesten. Geblieben ist hier ein rund 5.000 Hektar großes Naturschutzgebiet. Nur rein dürfen wir nicht. Noch nicht.

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Früher war die Gegend rund um Esterwegen das „Armenhaus der Nation“, sagt Sarah Andrees, Mitarbeiterin der Gedenkstätte Esterwegen. Die Gegend war abgelegen und dünn besiedelt, für die Nationalsozialisten einer der Gründe, hier Lager zu errichten. Das Konzentrationslager Esterwegen gehörte zu den ersten, ab Sommer 1933 wurden hier zunächst politische Häftlinge untergebracht. Der wohl bekannteste war Carl von Ossietzky, der 1935 den Friedensnobelpreis erhielt. Er musste wie alle anderen je nach Jahreszeit acht bis zwölf Stunden im Moor arbeiten, stand dabei bis zu den Knöcheln im kalten Wasser. „Das hat ihn völlig entkräftet“, sagt Andrees. Ossietzky starb 1938 an den Folgen der Misshandlungen und einer Tuberkulose. Insgesamt kamen etwa 20.000 Menschen in den 15 Emslandlagern um, die meisten von ihnen sowjetische Kriegsgefangene. Eine Ausstellung in der Gedenkstätte dokumentiert die „Hölle im Moor“.

Die Sprachinsel im Moor

Am nächsten Morgen. Es regnet. Schade, aus unserer geplanten Runde auf dem „MoorInfoPfad“ von Esterwegen wird nichts – der Bohlenweg darf bei Nässe nicht betreten werden. Der Regen rinnt auch noch vom nächsten Ortsschild. Auf dem steht „Sedelsberg“ und darunter „Seedelsbierich“. Wir sind im Saterland, der kleinsten Sprachinsel Europas. Das Saterfriesisch oder „Seeltersk“ hat dank der besonderen Lage im Moor überlebt.

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Ludger Thedering ist einer von gut 2.000 Menschen, die es noch können. Thedering kommt aus Ramsloh, pardon: Roomelse, und spricht saterfriesisch von Kindesbeinen an, was für ihn überhaupt das Allerwichtigste ist: ganz früh anfangen. Heute lernen Kinder das von der Europäischen Union als Minderheitensprache anerkannte Saterfriesisch in der Schule, wenn sie es denn wollen. Wenn Thedering weiß, dass sein Gegenüber es kann, zum Beispiel bei der Feuerwehr, dann legt er los. Auch sonst ist er nicht gerade der Langsamste im Sprechen. Das bekommen wir mit, weil wir uns zu einer Fahrt mit dem „Seelter Foonkieker“, zu deutsch: Saterländer Moorgucker, angemeldet haben. Denn nur mit dieser Lorenbahn und nur mit Ludger Thedering darf man rein ins Moor.

Vorher allerdings kommt die „Bildung“, ein rund 40-minütiger Vortrag auf dem Moorgut Ramsloh über Hoch- und Niedermoor, Schwarz- und Weißtorf und was man sonst noch so wissen muss. Zum Beispiel, dass Moor nur rund einen Millimeter im Jahr wächst. Und dass das Moor in dieser Gegend früher eine „Mächtigkeit“ von acht bis neun Metern hatte, also in gut 8.000 Jahren gewachsen ist. Dann kamen die Siedler und bauten den Torf ab, Spaten für Spaten. Schwarztorf war begehrtes Brennmaterial in den umliegenden Städten.

Mit der Lorenbahn ins Moor

Mit sechs Stundenkilometern rumpelt die Lorenbahn ins Moor. Nach 20 Minuten heißt es: alle aussteigen. Ein Bahnsteig mitten im Moor. Mit unseren Augen suchen wir den Horizont ab. Da ist die Kirche von Ramsloh, sieben Kilometer entfernt, und die Windräder von Friesoythe, immerhin 25 Kilometer.

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Direkt vor uns ragen hinter einem hohen Zaun acht Masten in den Himmel: die Marinefunksendestelle Ramsloh, die U-Boote der NATO weltweit mit Informationen versorgt, was gerade dank der feuchten Umgebung gut funktioniert. Die Masten sind exakt 352,8 Meter hoch und haben on top noch einen acht Meter hohen Dachschirm. Es gibt in Deutschland nur ein Bauwerk, das höher ist: den Berliner Fernsehturm mit 368 Metern.

Die Weite und Ruhe der Esterweger Dose fasziniert. Ein Großteil der Fläche ist bereits renaturiert und wiedervernässt. „Jetzt wartet man auf Regen“, sagt Thedering, „den Rest macht die Natur von ganz alleine.“ Bis sich sichtbare Erfolge einstellen, dauert es allerdings Jahrzehnte. Immerhin soll hier eine der größten renaturierten Hochmoorflächen Mitteleuropas entstehen. Ein Raunen geht durch die Gruppe, als Thedering eine Eisenstange nimmt und damit auf die Oberfläche eines Moorstücks tippt – sie schwingt. „So hat es hier früher überall ausgesehen.“ Dann lässt er die gut zwei Meter lange Stange fast ganz im Moor versinken – ein echter Gruseleffekt.

Das Einmaleins des Moores in Elisabethfehn

„Die Moorleiche ist cool“, hat die neunjährige Tamina ist Gästebuch des Moor- und Fehnmuseums Elisabethfehn geschrieben. Ganz viel ist allerdings nicht übriggeblieben von dem etwa 12 Jahre alten Jungen, der vor fast 1.000 Jahren ein trauriges Ende im Moor fand. Ein Torfarbeiter aus Esterwegen stieß 1939 auf seine Überreste, ein paar Knochen nur. Wir scannen einen QR-Code und hören die Geschichte des „Jungen von Burlage“.

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Dann lassen wir uns erzählen, wir früher eine Torftoilette funktionierte. Auf Knopfdruck steigt uns sogar der Geruch einer brennenden Moorfläche in die Nase. Wer auch immer eine Frage zum Moor hat – im ehemaligen Kanalwärterhaus von Elisabethfehn dürfte er eine Antwort bekommen. In der Ausstellung ist auch eine hölzerne Badewanne zu sehen. In eine solche Badewanne hockte sich 1956 zum ersten Mal ein Kurgast im rund 30 Kilometer entfernten Bad Zwischenahn.

Bevor wir dort selbst ein Moorbad nehmen, gönnen wir uns in der Teestube neben dem Museum noch einen Pfannkuchen, einen „Bookweitenjanhinnerk“. Buchweizen war das, was die Siedler früher auf abgetorften Flächen zuerst anbauen konnten, erzählt Michael Rudloff. Den Pfannkuchen macht er mit Tee, so ist es in Ostfriesland üblich. Weiter südlich macht man ihn mit Kaffee. „Tee schmeckt uns besser, das Wasser macht viel aus.“ Ansonsten hält er sich an die Überlieferung: „Gäste, die nicht gern gesehen sind, bekommen eine ungerade Zahl an Speckstückchen, gern gesehene eine gerade“. Wir zählen nach: Es sind vier. Auf Wunsch gibt es den glutenfreien Pfannkuchen natürlich auch ohne Speck.

Das künstliche Fieber

Bernd Wadsack, der Leiter der Abteilung Massage und medizinische Bäder in der Reha-Klinik in Bad Zwischenahn, wirft einen kurzen Blick auf meine „ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung“. Älter als 14 Tage sollte sie nicht sein, sagt er. Dann aber darf man auch ohne Rezept in ein Moorvollbad steigen. Bad Zwischenahn ist ein Moorheilbad und Torf ein Heilmittel. Der Rohstoff für die Behandlung rheumatischer und anderer Erkrankungen kommt aus dem Kayhauser Moor. „Da wird nichts zugemischt außer Wasser, das ist ein reines Naturprodukt“, sagt Wadsack. Dieses Naturprodukt wird auf 42 Grad erwärmt. „Wir erzeugen ein künstliches Fieber.“ Die Durchblutung und der Stoffwechsel werden angeregt, die Muskeln und Gelenke entspannt. Moor ist auch gut für die Haut, übrigens aufgrund genau jener Eigenschaften, die schon so manche Moorleiche konserviert haben. Soweit die Theorie.

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Stefan Hanhardt, der medizinische Bademeister, lässt den dicken, feinkörnigen Brei in die Wanne laufen und stellt den Wecker. 20 Minuten bin ich nun allein und mustere den schmucklosen Raum. An der Wand die Alarmstrippe, falls mir doch mal komisch wird. Es riecht leicht modrig. Ich liege bis zum Hals in der tiefbraunen Masse. Der Schweiß rinnt mir von der Stirn. Dann schließe ich die Augen, bis Hanhardt diesen angenehmen Dämmerzustand beendet. Erstmal nur mit Wasser abduschen, sagt er. Und dann für weitere 20 Minuten auf eine Liege, eingehüllt in ein weißes Laken, mit dem ich mich am Ende auch abtrocknen darf. „Nicht das eigene Handtuch nehmen, das kriegen Sie nicht wieder sauber.“ Ich fühle mich super, fit für die nächste Radtour. Genau das sollte ich jetzt aber lassen, gibt mir Wadsack mit auf den Weg, denn so ein Moorvollbad „ist doch sehr kreislaufbelastend“. Die Alternative lautet: Eis essen. Oder Aal. Beides kann man in Bad Zwischenahn gut.

Gut zu wissen!
Moorbäder im Reha-Zentrum am Meer in Bad Zwischenahn können gebucht werden unter Telefon 04403/619393

Ausführliche Informationen zur Johanniterkapelle Bokelesch, dem „Seelter Foonkieker“, dem Moor- und Fehnmuseum Elisabethfehn, der Marinefunksendestelle Ramsloh und zu 46 weiteren Zielen enthält das Buch „Oldenburger Münsterland. 50 Mikroabenteuer zum Entdecken und Genießen“ von Wolfgang Stelljes, erschienen 2024 im Verlag 360° medien.

Mehr Infos zum Buch sowie eine Bestellmöglichkeit findet ihr hier.

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Wolfgang StelljesGastautoren
Wolfgang Stelljes ist ein erfahrener Journalist, der für Tageszeitungen, Magazine und Agenturen tätig ist, mit einem besonderen Fokus auf Reisejournalismus. Er hat bereits Bücher über die Nordseeküste, Groningen und Bad Zwischenahn veröffentlicht. Sein neuestes Werk ist ein Reise- und Lesebuch über das Oldenburger Münsterland, eine Region, die er seit etwa zehn Jahren regelmäßig bereist. Stelljes lebt im Ammerland und bringt auch umfangreiche Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Hörfunkjournalist mit. Für seine Beiträge wurde er mehrfach mit dem Niedersächsischen Medienpreis ausgezeichnet, was seine Anerkennung in der Branche unterstreicht.

Hinweis: Dieser Artikel ist im BIO Magazin in Print in 2024 erschienen.

Gastblogger Teilzeitreisender

Eine Vielzahl von ausgesuchten Gastautoren hat für Teilzeitreisender.de geschrieben. Wer geschrieben habt erfahrt ihr in den jeweiligen Artikeln. Danke vor allen an Bianka, Ewa, Jana, Elena und Ulrike!

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