Le Mans. Ein Pilgerort? Alljährlich im Juni fahren Heerscharen an Motorsportverrückten Menschen aus aller Welt an diesen sonst so ruhigen Ort in der französischen Region Pays de la Loire.
Doch was macht den Mythos Le Mans so besonders?
Ich bin nicht das erste Mal an einer Rennstrecke und doch ist die französische Stadt etwas ganz besonderes. In Sachen Fannähe kommt Le Mans der Formel 1 gleich. Alles wird gefühlt hermetisch abgeriegelt, in die Stadtaufstellung kommt nur hinein, wer Superpromi ist.
Macht das den Fans vor Ort etwas aus? NEIN! Die 24 Stunden von Le Mans sind ein Volksfest – ein Wiedersehen mit alten Bekannten, ein Ort, an dem man ähnlich wie ein Festival einfach mal die Sau raus lassen kann. Und doch ist es anders. Es ist der Mythos – der allgegenwärtig über der Rennstrecke schwebt.
Fahrerpräsentation oder die Frage – Pass ich noch in die Straßenbahn?
Wir erreichen Le Mans am Freitag Nachmittag. Durch einen Vorort (ich habe keine Ahnung mehr wie der hieß) schlängelten wir uns im Stau Richtung Rennstrecke. vor uns ein Ferrari, zwei Reihen hinter uns ein Maserati. Dazwischen ein englischer Wohnwagen und wir in unserem Toyota Yaris. Es regnet und eigentlich sind wir totmüde von der anstrengenden Fahrt hier her.
Eine Stunde später – Zeltbesichtigung. Irgendwo hinter dem Kreisverkehr, gefühlt 2 Kilometer von der Rennstrecke entfernt und doch mittendrin. Mein Zelt ist klein und doch ist es um mich herum unglaublich entspannt. Familien sitzen an ihrem Grill, ein junges Paar schaut aus dem Wohnwagen – heute wird kein Auto um die Rennstrecke fahren. Heute Nacht schlafe ich noch im Hotel in Tours, aber morgen werde ich eintauchen in den Mythos Le Mans.
In zwei Stunden ist Fahrerpräsentation. Direkt in Le Mans. Ich lass mir sagen, dass es Zeit ist, sich auf den Weg zu machen. 2 Kilometer laufe ich bis zur Straßenbahnhaltestelle, vorbei an Straßenbarrikaden mit feiernden Fans, entlang an Wohnwagen, die es ganz normal finden, in einem Wendekreis zu campieren und vorbei an der „Spaßmeile“ von Le Mans, zu der ich euch später noch erzähle.
Und dann stehe ich an der Straßenbahn-Endhaltestelle, mit mir gefühlt 100 Fans, die wohl alle die gleiche Idee hatten. Auf ins Zentrum! Mit ganz viel quetschen und drücken und kuscheln landeten wir dann doch alle in der Bahn und nach gefühlten 2 Stunden (war nur ca. 40 Minuten) direkt im Zentrum von Le Mans.
Nett sieht es hier aus und doch hab ich nur ein Ziel. Vordrängeln. Ja ich weiss, sollte man nicht, aber hey ich bin 1,60 m groß – ich wollte neben all den großen Engländern, Franzosen und Deutschen wenigstens einmal die Chance haben, mitzubekommen, was passiert. Und so erlebte ich aus zweiter Reihe, wie Mark Webber hinter seinem Präsentationsfahrzeug herlief, wie Alexander Wurz sein allbekanntes Lächeln zur Schau trug, wie das Michelinmännchen stolperte und wie alle Fahrer und Teams in Französisch vorgestellt wurden. Wir waren schon am Ende der GT-Fahrer-Präsentation angelangt, als es für mich Zeit war zu gehen. Gerade jetzt sind die Bahnen nicht so voll und irgendwie ging die Rückreise zur Rennstrecke doch eine ganze Ecke schneller.
Eine nicht ganz gewöhnliche Landstraße
Ich war müde. Richtig müde. Und doch wollte ich die Strecke von Le Mans nach Tour mit dem schicken Lexus Hybrid erleben. Schließlich war dies das Auto, was ich auf der „Road to Le Mans“ noch gar nicht gefahren hatte. Mit Sitzverstellen auf Knopfdruck und alle möglichen Komfort-Schnick-Schnack hatte das Auto wirklich Stil. Immer noch damit beschäftigt, mich ans Fahren zu gewöhnen, dauerte es auch eine Weile, bis ich mich über die seltsamen Schilder am Straßenrand wunderte. Tempo 200? Tempo 300? Ein Blick auf das Navi zeigte mir – wir sind richtig.
Zugegeben, es dauerte vielleicht 20 Sekunden, bis ich realisierte, dass wir uns auf der Landstraße bewegten, die am kommenden Tag Teil der Rennstrecke war. Und einer meiner Träume wurde wahr. Ich – mit einem fetten (wenn auch nicht so superschnellen) Auto auf einer der bekanntesten Rennstrecken der Welt. Und das Glücksgefühl hielt noch an, als wir durch wunderschöne Baumalleen, vorbei an niedlichen französischen Dörfern nach Tours fuhren.
Es ist 5:30 Uhr morgens. Irgendwie habe ich mich in meinen Schlafsack verdreht. Die Natur ruft. Und lange kann ich sie nicht ignorieren. Ich quäle mich aus meinem Zelt – alles schläft – nur die Motoren der Rennwagen auf der Strecke von Le Mans sind unentwegt zu hören.
Ihnen und den diversen alkoholischen Getränken habe ich übrigens eine recht gute Nachtruhe zu verdanken. Das ewige Surren ermüdet – und ich bin überrascht, wie erholt ich nach einer Nacht im Zelt auf dem harten Boden von Le Mans aufwache. Knapp 200 Meter hab ich es bis zum rettenden Häuschen und wieder finde ich den Rückweg nicht auf Anhieb. Beim nächsten Mal – schwöre ich mir – hat das Zelt einen Peilsender.
Mein Schlafsack ist inzwischen ausgekühlt. Ich beschließe entspannt alles zu packen und langsam aufzustehen. Sehr leise war ich dabei wohl nicht, denn auch in den anderen Zelten unserer Gruppe vernehme ich das eine oder andere „Ich bin wach“ Zeichen.
Nur noch einmal umdrehen. Es ist 6:00 Uhr morgens und mein Wecker klingelt erbarmungslos. In einer halben Stunde muss ich munter vor dem Shuttle stehen, mitsamt dem Gepäck für eine Nacht im Zelt. Gepackt habe ich die Nacht, nachdem ich vor lauter Aufregung nicht einschlafen konnte.
Kurz vor halb sieben heißt es „Frühstücken“. Ein französisches Croissant und einen wässrigen Kaffee, den ich heute Morgen aber brauche. Während alle anderen im Bus einschlafen, hält mich dieser Schluck Koffein wach.
Unser erster Stopp sind die Zelte für die kommende Nacht. Das schwerste Gepäck lasse ich hier – in der Hoffnung, dass es heute nicht regnet. Wir sind nicht die einzigen, die langsam wach werden. Bei schönem Wetter sitzen die Fans vor ihren Wohnwagen – Picknickstimmung Made in Le Mans.
Und auch wir als Toyota-Gäste bekommen so langsam wieder Hunger. Wir werden nicht nur von A nach B mit einem Shuttle transportiert, auch die Verpflegung ist in der Hospitality inklusive. Und so sitzen wir dann schließlich auf dem wind- und sonnengeschützen Balkon mit bestem Blick auf die Strecke und genehmigen uns eine Fruchtsaftschorle und ein paar Frühstückssnacks, während auf der Rennstrecke zahlreiche Klassiker aus der ruhmreichen Sportwagenvergangenheit ihre Runden drehen.
Während es um unsere Hospitality herum immer voller wird, machen wir uns auf zu einem Blick „Hinter die Kulissen“. Ein wenig Enttäuschung macht sich breit, einen Blick auf das Rennfahrzeug dürfen auch wir nicht werfen. Dafür sehen wir immerhin Reifen und Helme. Aber nicht wirklich was Neues…
Die anderen wollen zu Fuß um die Rennstrecke. Ob sie es wohl schaffen bis zum Rennstart wieder zurück zu sein? Während auch die letzten Fanmassen die Shoppingmeilen überfluten und auf der Amüsiermeile die ersten Euros für eine Runde auf dem Riesenrad ausgeben werden, genieß ich lieber die Ruhe vor dem Rennen. 24 Stunden gilt es durchzustehen – und ich bin gespannt, wie lange ich mich in der Nacht wachhalten kann.
Immer mal wieder fährt vor der Hospitality ein Auto auf der Rennstrecke vorbei – für mich das beste Zeichen – da passiert was. Mich hält es nicht mehr bei Toyota, ich muss auf die Tribüne, die sich direkt über den Boxen befindet. Mit Kamera, Stativ und Sonnenschutz bin ich wohl eine der ersten, die sich hier auf den Tribünenplätzen breit macht. Doch es lohnt sich – denn schon wieder entdecke ich ein paar Rennfahrer.
Knapp eine Stunde vor dem Start sammeln sich alle so langsam in der Startaufstellung, anders als bei anderen Rennen werden die Fahrer nicht um die Strecke gekarrt – in Le Mans gibt es eine Aufstellung des gesamten Teams – die mich ein wenig an die Nascar erinnert. Während sich aus dem Gewusel immer mehr auch eine Ordnung formatiert, trudeln auch meine Begleiter ein und gemeinsam fiebern wir dem Start entgegen. Inzwischen ist es auf den Tribünen richtig voll, ich sehe vereinzelt Bengalofeuer und höre erste Fangesänge.
Ein erstes Raunen geht durch die Reihen, als die Motoren der LMP1-Fahrzeuge angeschmissen werden – „Gleich geht´s los!“ Bis zum Start dauert es gefühlt eine halbe Ewigkeit und doch ist der Moment einfach einmalig. Ein Kessel voller Jubel bricht sich den Damm, als die Ampeln auf Grün schalten – Die 24 Stunden von Le Mans anno 2015 starten! Die Stimmung? Einmalig. Dagegen ist die Startprozedur am Nürburgring wie eine Rentnerveranstaltung.
Noch gut eine Stunde bleibe ich auf der Tribüne – es ist ein recht ruhiges Rennen, zumindest von hier aus. Keine größeren Zwischenfälle, keine Wetterkapriolen – bis auf ein paar Überholmanöver weit weg von Start und Ziel passiert hier recht wenig.
Es stellt sich heraus, das die Shuttlebusse auch Orte anfahren, die wohl die wenigsten Fans von Le Mans sehen. Ein kleines Haus direkt an dem Hochgeschwindigkeitsabschnitt Hunaudières, auch Mulsanne Straight genannt, wird während des Wochenendes als Partylocation angemietet. Ich entdecke eine Steckdose und ziehe erst mal Energie. Es wird langsam dunkel und die Autos sind hier so schnell, das sie mit einer Kamera kaum einzufangen sind. Ich genieße das Schauspiel der Hochgeschwindigkeit, das ich so nah dran noch nirgends erleben durfte. Wir werden unterdessen mit einem alkoholischen Sprudelwasser versorgt und im Hintergrund sind die Streckensprecher zu hören.
Fast zwei Stunden bleiben wir hier, unterhalten uns mit irgendwelchen B-Promis aus dem englischen Motorsport und genießen die Zeit. Mein Handy ist inzwischen aufgeladen und so geht es zurück zur Hospitality. Dort erfahren wir vom Toyota-Chefingenieur die angedachte Strategie für die Nacht. Es soll wohl ruhig bleiben.
Ich habe nun, angetüdelt vom Weißwein, endlich den Mut für das Riesenrad. Ein wenig mulmig wird mir dann schon, als wir das erste Mal eine Runde fahren und doch ist der Blick von hier oben auf die Strecke und die Scheinwerferlichter einfach nur unglaublich cool! Ich bin heute zu schwach für Hau den Lukas und die ganzen anderen Spiele und auch beim Blick auf die Bierstände wird mir eher ein wenig mulmig.
Auch der anschließende Kaffee kann meine müden Glieder nicht erwecken. Um halb zwei Nachts muss ich an diesem Samstag an der Sarthe aufgeben. Zelt! Ich komme!
Um 7 Uhr (so früh war ich noch nie an der Rennstrecke) mache ich mich auf dem Weg an die Strecke. Ein paar wenige Fans haben wohl durchgemacht – viele sind es jedoch nicht, die heute Morgen herumlaufen. Auf Französisch werden die aktuellen Zwischenstände des Rennens durchgegeben – ich bin aber noch nicht wirklich aufnahmefähig.
Wir entdecken die kleine Kart-Strecke von Le Mans, die sich kurz hinter dem „Amusementpark“ befindet. Verschlafen und ein wenig zerfallen wirkt hier alles, zu schade, dass wir hier nicht ein paar Runden drehen können – ich glaube das hätte mich wach gemacht!
Auf einer kleinen Tribüne entdecken wir ein Flaschenmeer. Ich vermute, diejenigen, die hier standen, hatten des Abends nicht nur den perfekten Blick auf die Rennstrecke, sondern auch noch sehr viel Spaß!
Jetzt, da es an der Rennstrecke noch leer ist, wage ich auch einen Blick auf die „Shoppingmeile“. Bei Porsche ist sogar schon geöffnet, und so erstehe ich ein kleines Souvenir für daheim gebliebene Motorsportblogger. Auch ein obligatorisches Le-Mans-T-Shirt habe ich nach einem Stromausfall an der Kasse (solang das nur dort passiert) erstehen können.
Um mich herum: Verschlafene Gesichter. Und auch ich merke, dass es langsam Zeit für ein Frühstück ist. Heute morgen brauche selbst ich einen Kaffee – und so sitze ich kurze Zeit später wieder in der Toyota-Lounge und knabbere mein Croissant. Natürlich bin ich auch diesmal dabei, als der Chefingenieur uns von den Entwicklungen während der Nacht berichtet. Für Toyota sieht es eher etwas durchwachsen aus, dafür jedoch bahnt sich für das Porsche-Team rund um Nico Hülkenberg eine kleine Sensation an. In Führung liegend sieht alles nach einem Sieg aus.
Von meinem schattigen Platz auf dem Balkon der Lounge kann ich die Einfahrt in die Box beobachten. Nicht nur dort passieren immer mehr Konzentrationsfehler bei dem einen oder anderen Fahrer – und ich zolle all denjenigen, die in den letzten Stunden kein Auge zugemacht haben, einen hohen Respekt. Ich bin heute nicht zu viel „Action“ in der Lage.
Während auf der Strecke die Fahrer um Positionen kämpfen, schnappe ich mir das eine oder andere Mal die Kamera… ansonsten sitze ich mit einer Cola entspannt im Schatten und genieße den Tag. Gegen 14 Uhr schlurfe ich entspannt zur Tribüne. Die Idee habe ich nicht alleine – fast scheint es so, als wären einige gar nicht erst weggewesen.
Eine halbe Ewigkeit scheint zu vergehen, bis endlich die Zielflagge geschwenkt wird. Die letzten fünf Minuten kommen mir wie eine Stunde vor. Doch dann! Die Sensation ist perfekt. Der Porsche mit der Startnummer 19 hat es tatsächlich geschafft! Während die Massen zum Podium laufen, sitz ich noch immer an meinen Platz und beobachte, wie das Siegerauto durch die Boxengasse in den Parc Ferme einfährt. Ich kann von hier oben den Stolz des Teams sehen, die Begeisterung der Fahrer, die freundlichen Gratulationen der anderen Motorsportler. Die jubelnde Menge. DAS! Ist Gänsehaut pur!
Selten habe ich erlebt, dass Motorsport so zelebriert wird wie hier in Le Mans. Die Fans, die Teams, die Fahrer, die Strecke – alles hat dieses besondere Flair. Auch ich fühle mich stolz ein kleiner Teil der Siegerehrung zu sein und muss mir ehrlich gesagt ein kleines Tränchen verkneifen. Und hey… dabei bin ich doch gar nicht so ein großer Porschefan.
Langsam leeren sich die Tribünen und auch wir sind angehalten, rechtzeitig mit unseren Sachen am Shuttle zurück nach Tours, wo wir die letzte Nacht verbringen, zu erscheinen. Ich nehme Abschied. Für immer? Sicherlich nicht! Wer Motorsport liebt, muss Le Mans erleben.
Schreib uns einen Kommentar