Es gab eine Zeit, in der die Industrialisierung noch nicht den europäischen Kontinent erobert hatte. In einem Zeitalter, wo Straßen oft nur den heutigen Feldwegen glichen und kein Mensch die Eisenbahn kannte.
Inhaltsverzeichnis
Postkutschenreisen im 18ten Jahrhundert
Auch in dieser Zeit reisten die Menschen. Zu Fuß, auf dem Pferd oder mit der (Post)Kutsche. Vor gut 200 Jahren gab es keine Kurzreisen, 40 Kilometer kam eine Postkutsche im Durchschnitt pro Tag im Jahre 1815 voran. Mal „schnell“ von Erfurt nach Leipzig reiste man in gut 2 Tagen (inklusive einer Übernachtung).
Das Postkutschennetz war damals recht gut ausgebaut, dennoch fuhren die Postkutschen an manchen Stationen nur 2-3 Mal pro Woche. Eine Reise von Leipzig nach Berlin dauerte so manchmal gut 4 Tage und hatte längst nicht die Leichtigkeit des heutigen Reisens. Alte Kutschen, schlechte Straßen, Wartezeiten von mehreren Tagen – wer es sich leisten konnte, besaß eine eigene Kutsche. Wer nicht – hatte zwar Gesellschaft, aber selten eine entspannte Reise.
Postkutschenreisen heute
Heute ist alles anders. Wer schnell sein will, setzt sich in den Flieger und ist an einem Tag auf der anderen Seite der Erdhalbkugel. Und doch ist es gerade die Entdeckung der Langsamkeit, das sogenannte „Slow Travel“ – was man sich im Zeitalter von Geschwindigkeit wünscht. Wer mit einer Postkutsche reist, der wird entschleunigt.
Die heutigen Postkutschen haben Komfort, gut angezogene Kutscher und sind unterwegs auf hervorragend ausgebauten Straßen. Wartezeiten hat man allenfalls, wenn die Rast für die Pferde eingeplant ist. Für mich ist eine solche Reise die wohl entspannteste Art zu reisen. Doch lasst euch mitnehmen, und lest ein paar Passagen aus meinem Reisetagebuch.
Mein Reisetagebuch anno 2016
Es ist ein wunderschöner Morgen, an dem ich in Stolberg im Harz erwache. Ich habe gut geschlafen in der alten Postkutscherei – auch vor 200 Jahren haben Reisende in diesen Häusern genächtigt. Schnell mach ich mich fertig und begegne auf dem Hof erst einmal der Hofkatze.
Ihr „Miau“ soll mich wohl auf den Trubel in „Der alten Scheune“ hinweisen, denn ich reise nicht alleine. Eine Gruppe Frauen und ein älteres Paar begleiten mich in an diesem Tag auf meiner Reise durch den Südharz.
Hoch auf dem gelben Wagen!
Die Kutsche wartet schon im großen Tor und auch die Pferde und die Kutscher sind da. „Nehmen Sie einen Hut mit, es soll sehr sonnig heute werden!“ ist ein letzter Hinweis der Posthalterin Sonja Kirchner. Den kann ich auch gut gebrauchen, ich habe mir den „Bediensteten-Sitz“ draußen ausgewählt. Und damit instinktiv den perfekten Platz gefunden.
Unsere Reise beginnt auf dem Kopfsteinpflaster von Stolberg und die ersten Meter in der Kutsche sind in dieser Höhe doch sehr ungewohnt. Schnell jedoch finde ich gefallen an dem Platz, sehe ich doch mehr als unten in der Kutsche und weht hier oben ein frisches Lüftchen. Unsere Kutscher erzählen von „Damals“ und nur die hupenden Autos stören ein wenig die Illusion einer Reise wie vor 200 Jahren.
Ein Hut auf Abwegen.
Ich werde ein wenig selbstvergessen und so kommt es, wie es kommen muss. Einen Moment habe ich nicht auf meinen Hut aufgepasst – der keine 20 Meter weiter auf der Straße zum Liegen kommt. „Mein Hut!“ rufe ich, und schon bremst die Kutsche ab.
Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 5 – 10 km/h ist das auch kein Problem. Der Kutscher – charmant wie er ist, rettet meinen Hut und die Fahrt kann weitergehen. Im Inneren der Kutsche höre ich es wild schnattern – die Damengruppe scheint viel Spaß zu haben!
Ein Schwan im Anflug!
Nach einer Fahrt durch den Südharz landen wir in Rottleberrode. Die Stadtstraßen werden aktuell repariert und so wird die Fahrt etwas wackelig. Ein Hund bellt, als er die Pferde hört und ich kann in aller Seelenruhe in die Einfahrten der Leute schauen. Nein – nicht spannen! So eine bin ich nicht!
Am Weiher jedoch stehen wir von einer neuen Herausforderung. Nicht der Angler mit seinem Hund, sondern ein wild gewordener Schwan kommt auf uns zu. Scheinbar hat er eine Aversion gegen Kutschen oder Pferde – anders kann ich mir nicht erklären, warum so ein Wasservogel sich von einer Kutsche stören lässt. Unsere Pferde jedoch sind das Schauspiel schon gewöhnt und so geht es weiter Richtung Rangierbahnhof.
Vorbei am Industriestandort Rottleberode
Die Gipswerke und die Holzverarbeitung sind hier die größten Arbeitgeber. Und so fahren wir mit unserer Kutsche anno 1815 durch eines der größten Industriegebiete des Südharzes. Es riecht nach frischem Holz. In der Ferne sieht man das Gipswerk.
Auch das gehört dazu! Früher einmal gab es hier in der Region viele Erzbergwerke. Diese Zeiten sind längst vorbei und doch entdeckt man bei den Streifzügen durch den Südharz noch das eine oder andere Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten.
Heimatliebe in der Ferne!
Ich lasse meinen Blick streifen und warte sehnsüchtig auf einen ganz bestimmten Ausblick. „Wann ist denn der Kyffhäuser zu sehen?“ frage ich neugierig. Die Hand des Kutschers zeigt nach vorn. „Dort wird er gleich auftauchen!“
Und tatsächlich, einige Augenblicke später sehe ich erst den alten Fernsehturm und dann das Kyffhäuserdenkmal am Horizont. Ein „Hach Heimat“ kommt über meine Lippen und ich stelle fest, dass auch den Mitreisenden das Kyffhäuserland bekannt ist.
Mittagspause!
Unsere Pferde haben jetzt gut 1 1/2 Stunden harte Arbeit verrichtet und auch unsere Kutscher werden langsam müde. Zeit für eine Rast! Wir stoppen an einem kleinen Restaurant direkt neben einer der Touristenattraktionen der Region – der Höhle Heimkehle.
Während unsere Pferde und auch die Kutscher die verdiente Ruhe genießen, gönnen wir uns eine Mittagspause. Das Essen ist gut und günstig, vor allem dem Spielplatz solltet ihr einen kurzen Blick widmen. Der ist ziemlich „vintage“ und erinnert mich an meine Kindertage in der DDR.
Prinzessin Valium und die Heimkehle
Während die Damenrunde am Nachmittag zur Wanderschaft durch den Südharz aufbrechen, schau ich mir die Heimkehle an. Als Kind des Kyffhäusers habe ich die natürlich schon einmal besucht – aber das ist nun auch schon einige Jahre her. Die Höhle ist kühl, eine Strickjacke deswegen Gebot der Stunde. Ebenso wie ein Helm, den ich nach den ersten 100 Metern aufsetzen muss.
Unser Guide ist zu allerlei Spaß aufgelegt und so bekomme ich im Verlauf der einstündigen Führung auch den Namen „Prinzessin Valium“. Bilder machen ist in der Höhle nicht so einfach – ein Grund, warum ich immer die letzte der Gruppe war. Nicht nett, aber doch ein Spaßfaktor für alle. Die abschließende Illumination durfte nicht aufgenommen werden – sie ist auch leider etwas in die Tage gekommen. Zeit für ein Update ;)
Spannend ist die Reise in diese Höhle jedoch definitiv. Nicht nur wegen der KZ-Gedenkstätte im Inneren. Und nicht nur wegen den Fledermäusen. Hier lernt ihr etwas über die Entstehung von Gips. Und über die Erde. Und über euch selbst.
Zurück nach Stolberg
Wir sind nur noch zu dritt auf der Rückreise mit der Kutsche und ich beschließe, diesmal in der Kutsche mitzufahren. Eine Bank ist nach vorne gerichtet und bietet 2 – 3 Personen Platz im vorderen Bereich. Im zweiten Teil gibt es eine Bank in und eine gegen die Fahrtrichtung.
Beide Bereiche sind mit samtigen grünen Polstern versehen, das Innere der Kutsche hat den Komfort einer Königskutsche. Ich lehne mich zurück und genehmige mir einen Secco zur Erfrischung, während wir entspannt die Rückreise antreten.
Ich bin so entspannt und in Gedanken versunken, dass ich es gar nicht wahrhaben will, dass wir gut 1 1/2 Stunden später Stolberg erreichen.
An diese Art zu reisen könnte ich mich echt gewöhnen.
Alle wichtigen Infos zu Postkutschenreisen im Harz gibts hier
- Die Postkutschentouren aus Stolberg finden je nach Wetter von April bis Oktober statt.
- Ich habe an einer Tagestour mit der Postkutsche teilgenommen. Wer erst einmal „reinschnuppern“ will, dem kann ich auch eine Postkutschen-Tour durch Stolberg empfehlen. Für alle, die gerne eine komplette Reise mit der Postkutsche unternehmen wollen, gibt auch eine ganze Postkutschenreise
- Die Tagestour kostet inklusive Verpflegung (Frühstück, Mittag, Cafe) pro Person 129 Euro. Für Gruppen gibt es einen Sonderpreis. Sollten sie individuelle Wünsche haben, so freut sich die Posthalterin über ihre Rückmeldung.
- Wie in einer Kutsche üblich gibt es keine sanitären Anlagen und auch keine Heizung. An kälteren Tagen lohnt es sich deshalb, eine Jacke mitzunehmen.
- Die Touren finden erst ab einer Mindestteilnehmerzahl von 6 Personen statt.
- Ein ganz besonderer Hinweis für alle, die auch Grüße nach Hause schicken wollen: Jeder Reisende bekommt zu Beginn der Reise eine Postkarte, die schon hier gestempelt wird. Bei der Heimkehle könnt ihr ebenfalls einen Stempel bekommen. Die Karte wird dann kostenlos zu euch oder einer Adresse nach Wunsch geschickt. Eine tolle Idee!
- Weitere Tipps rund um Stolberg
- Lust auf Walpurgisnacht im Südharz?
Offenlegung: Die Postkutschenreise wurde uns ermöglicht von der Alten Posthalterei Stolberg.
[…] Heimkehle (Sachsen Anhalt) […]
Interessant, dass eine Postkutsche im Durchschnitt 40 Kilometer pro Tag im Jahre 1815 vorankam. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn wir keine Rohrpostanlage hätten. Müssten unsere Medikamente per Postkutsche transportiert werden, würden einige Patienten wohl sehr in Bedrängnis kommen.
[…] Postkutschenfahrt wie vor 200 Jahren! […]
Was für eine tolle Sache. Das würde ich auch gerne mal machen. Das hat bestimmt Spaß gemacht – und ist echtes Slow Travel.
Liebe Janett,
was für eine Erfahrung. Das ist ja wirklich eine kleine Zeitreise. Unglaublich interessant, wenn man da mal drüber nachdenkt, wie lange das Reisen tatsächlich damals gedauert hat. Tolle Eindrücke!
Liebe Grüße,
Tanja
In so einer tollen gelben Postkutsche würde ich ja auch gern mal fahren! Sieht nach einer super Tour aus. Das werde ich mir auf jeden Fall merken, falls ich mal in der Nähe bin.
[…] Klickt hier, wenn ihr mehr über Stolberg erfahren wollt, oder unternehmt eine Tour mit der Postkutsche. […]