24 Stunden in Valencia

24 Stunden in Valencia

Das erste Mal war ich 2016 in Valencia, ein kurzer Landgang bei meiner ersten und einzigen Kreuzfahrt, ein paar Stunden nur. Die aber reichten, um einen Vorsatz zu fassen: Irgendwann komme ich noch einmal in diese Stadt. Und dann hole ich mir sachkundige Begleitung, um ein bisschen mehr von der ganzen Pracht zu verstehen, die ich da sehe.

Mit Jakob durch Valencia

Knapp zehn Jahre später ist es soweit. Jakob Gramß, Stadtführer und Dolmetscher, holt mich vom Hotel ab. Jakob – wir sind gleich per du – lebt seit 1983 in der drittgrößten Stadt Spaniens.

Mein Guide für Valencia
Jakob Gramß – Stadtführer für Valencia

Er erinnert sich noch an Zeiten, in denen Urlauber froh waren, wenn sie aus Valencia wieder raus waren. Denn damals endete die Autobahn vor den Toren der Stadt und all die Sonnenhungrigen, die an die Costa Blanca wollten, schoben sich in einer Blechlawine durch ein Nadelöhr.

Es gab sogar ein Schild, mit dem die Stadt versuchte, den einen oder anderen zum Aussteigen zu bewegen: „Historische Altstadt, besuchbar in zwei Stunden“. Zwei Stunden! Was damals schon ambitioniert war, ist heute im Grunde unmöglich. Diese Stadt mit ihrem Mix aus Mittelalterlichem und Futuristischem braucht Zeit! Auch 24 Stunden sind eigentlich viel zu wenig …

Ungewöhnliches Wappentier

Ein bisschen Elementarwissen kann nicht schaden, scheint sich Jakob zu denken, denn er führt mich zunächst zur Porta de la Mar, einem Denkmal im Stile eines römischen Triumphbogens. Ganz oben thront das Wappentier von Valencia – eine Fledermaus.

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Die Fledermaus – das Wappentier von Valencia

„Die hat nicht so einen guten Ruf, passt aber gut zum valencianischen Charakter – die Valencianer sind ein Völkchen, das gern feiert und abends lange aufbleibt.“ Das also ziemlich nachtaktiv ist. Aber warum ausgerechnet eine Fledermaus?

Weil eine Fledermaus, so die Legende, schlafende christliche Soldaten weckte und vor den Mauren warnte, die einen Überraschungsangriff planten, damals, 1238. Drum findet man heute die Fledermaus auch auf Kanaldeckeln oder im Wappen des FC Valencia.

Der Torres de Serranos

Kurze Zeit später stehen wir vor einem der beiden verbliebenden Tore aus der alten Stadtbefestigung mit seinen zwei Türmen, den Torres de Serranos. In diesen Türmen wurden einst Adlige eingekerkert, privilegierter Strafvollzug sozusagen. Später dann, während des Spanischen Bürgerkriegs, verwahrten die Republikaner hier die ausgelagerten Kunstschätze aus dem Madrider Prado-Museum, geschützt durch Reisstroh. Bei Touristen ist das Tor beliebt, weil es einen Rundumblick auf Valencia erlaubt. Uns zu Füßen liegt im Norden der Turia-Park, die grüne Lunge Valencias, und im Süden die Innenstadt mit ihrer eher niedrigen Skyline, überragt nur von der Kathedrale.

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Das Nordtor von Valencia

Auf dem Weg zu dieser Kathedrale passieren wir einen prächtigen Adelspalast, den Palast von Benicarló, heute Sitz des Landesparlaments. Früher residierten hier jene von Borgia, sagt Jakob, eine Familie, die eher aus Italien bekannt ist, für ihre Machtfülle, aber auch für ihre Meuchelmorde.

Eine Familie, der es gelungen ist, „das mächtigste Amt des Abendlandes zu besetzen: das Papstamt“. Eine Familie, die, was ziemlich untergegangen ist, ursprünglich aus Valencia stammt. Hätte man vielleicht mehr draus machen können. „Die Italiener sind besser im Marketing“, sagt Jakob trocken.

Der Plaza de la Virgen

Nur gut 100 Meter trennen uns von der Plaza de la Virgen, für viele der schönste Platz von Valencia. Schon zu Zeiten der Römer kreuzten sich hier die Nord-Süd- und die Ost-West-Achse. Dann kamen die Westgoten, dann die Christen, die eine erste Kirche bauten, dann die Mauren, die eine Moschee bauten, dann wieder die Christen, die eine Kathedrale bauten.

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Plaza de la Virgen

Und die, findet Jakob, „schaut aus, als wäre sie nicht fertig geworden.“ Denn der Bau wurde nicht durch Kirche oder König finanziert, sondern durch Spenden der Bürger. Die Folge: immer wieder Baupausen und ein auffälliger Stilmix. Da ist das Aposteltor mit seinem Spitzbogen – gotisch. Da ist der Eingang und die überladene Fassade Richtung Plaza de la Reina – barock. Und da ist das Palau-Tor mit seinem Rundbogen – romanisch.

Das Geheimnis im Palau-Tor

Hier lenkt Jakob meinen Blick auf die Kerben im rechten Torbogen, zu deren Entstehung er gleich vier Theorien präsentieren kann.

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Henkerskerben im Palau-Tor

Die populärste ist die vom Henker, der hier sein Beil wetzte, bevor er zur Tat schritt. Ach ja, bevor wir ihn ganz vergessen, der Glockenturm – auch gotisch.

Süßes Sommergetränk – Horchata

Zeit für eine Pause. Und für eine Horchata, ein Getränk aus der Tigernuss, auch Erdmandel genannt, die in der Region angebaut wird. Sie ist reich an Nährstoffen und Vitaminen, in unserem Fall aber auch an Zucker (es gibt auch eine zuckerfreie Variante), denn wir ordern sie in der „Horchateria de Santa Catalina“, die mit ihren bunten Fliesen so ziemlich der auffälligste Laden in dieser Hinsicht sein dürfte.

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Fartons – ein typisches Hefegebäck

Dazu empfiehlt Jakob Fartons, ein Hefegebäck, bestäubt mit Puderzucker, welches man so essen oder aber in seine Horchata eintunken kann. Jakob outet sich als „Tunker“.

Seidenbörse

Vor uns liegen noch zwei Stationen, die für viele Urlauber die Höhepunkte eines Valencia-Besuchs sind. Die erste ist die Seidenbörse, von außer eher schmucklos, sieht man mal ab von den Fratzen und teils grotesken Gestalten – die Steinmetze durften sich offenbar austoben.

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Die Decke in der Seidenbörse – sehenswert!

Über den Innenhof mit seinen schattenspendenden Bitterorangenbäumen gelangen wir in einen Saal, der als einer der schönsten in Europa gilt, vor allem wegen der acht aus Stein gemeißelten Säulen, die oben in Bögen auslaufen und an Palmen erinnern. Dort, wo heute Touristen über den marmornen Boden schlendern und den Kopf in den Nacken werfen, wurde früher gehandelt, mit Gold, Elfenbein, Edelhölzern, Stoffen und natürlich auch mit Seide – Valencia war ein Zentrum der Seidenproduktion.

Die zentrale Markthalle von Valencia

Nur einen Steinwurf entfernt liegt die zweite Station, die quasi Pflicht ist: die zentrale Markthalle, erbaut 1927. Hier bekommt der Valencianer, was er für seine Paella braucht. Paella muss sein, sagt Jakob, eine valencianische Paella, versteht sich. Valencia ist der Geburtsort der Paella, mit Kaninchen und Hühnchen und Schnecken, das war die Urform, ein Arme-Leute-Essen. „Alles andere ist Reis mit Sachen drin“. Fisch und Meeresfrüchte gehen gar nicht, jedenfalls nicht für den traditionsbewussten Valencianer. Und bitte nur Reis aus der Region.

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Markthalle von Valencia

Die Zubereitung, sagt Jakob, „ist nicht ohne“. Für Wassermenge, Hitzezufuhr und Kochzeit braucht man ein feines Händchen. Das Ganze lässt man Ende noch ein bisschen ziehen, wobei die Pfanne abgedeckt wird, „am besten mit der Lokalzeitung – das klappt.“ Vorzugsweise kommt die Paella am Sonntag auf den Tisch, „wie der Braten in Deutschland“, und zwar mittags. Eine Paella am Abend ist schwer verdaulich, heißt es in Valencia.

Mit dem Rad in die Zukunft

Vier muntere Stunden habe ich mit Jakob verbracht, für den Rest des Tages gibt mir der 60-Jährige noch ein paar Tipps mit auf den Weg: für den Nachmittag eine Runde durch den Jardin del Turia. Und abends ins hippe Ruzafa-Viertel oder durch El Carmen, die sanierte Altstadt. Und wenigstens einmal am Agua de València nippen, einem Cocktail aus Orangensaft, spanischem Sekt und Gin oder Wodka, jedenfalls Hochprozentigem. Sehr süffig, sagt Jakob, „aber auch sehr gefährlich, weil der Alkohol nicht so durchzuschmecken ist“.

Also erst der Jardin del Turia. Ein ehemaliges Flussbett, überspannt von 17 Brücken. Mit einer traurigen Geschichte. Im Oktober 1957 ließen heftige Niederschläge das Wasser so stark ansteigen, dass es bei den Häusern in der Innenstadt im ersten Stock stand. Rund 100 Menschen starben. Also schuf man ein neues Flussbett südlich der Stadt, mitfinanziert von der Bevölkerung. Dass sich dort 2024 das reißende Wasser erneut seinen Weg suchte und Tod und Leid brachte, war eine Katastrophe, die auch in Deutschland tagelang die Schlagzeilen bestimmte. Und das alte Flussbett? Es lag brach, bis die Franco-Regierung entschied, eine Autobahn zu bauen. Dagegen formierte sich eine Bürgerbewegung, mit Erfolg.

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Flaschenbäume

Geschaffen wurde der längste Park Spaniens, neun Kilometer lang. Mit ganz viel Grün. Mit Palmen, Flaschenbäumen, Maulbeerbäumen und Bitterorangen, vor deren Verzehr mich Jakob ausdrücklich gewarnt hatte, da könne man bestenfalls Marmelade draus machen. Mit Konzerthaus, Sportanlagen und Spielplätzen. Und doch nahmen die Valencianer den Park anfangs nur zögernd an. Ganz im Gegensatz zu den Ausländern – Valencia ist unter anderem eine der beliebtesten Städte unter Erasmus-Studenten –, die den Park munter nutzten. Allein schon, weil es eine Extraspur nur für Läufer gibt und eine zweite nur für Radfahrer.

Stadt der Künste und der Wissenschaft

Das habe ich dann auch gemacht: mir ein Rad geliehen. Denn ich will es sehen, das moderne Valencia am südöstlichen Ende des Parks, genauer: die Stadt der Künste und der Wissenschaften, entworfen von dem Stararchitekten Santiago Calatrava, einem Sohn der Stadt.

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Stadt der Künste und der Wissenschaft

Ein Ensemble von höchst eigenwilligen Bauwerken, unter anderem Opernhaus, Wissenschaftsmuseum und Kino. Architektur zum Sattsehen! In der Welthauptstadt des Designs, ein Titel, den Valencia 2022 verliehen bekam. Wobei das Leben an diesem frühen Nachmittag vor allem vor dem Oceanogràfic tobt, dem größten Aquarium Europas, wohl auch, weil Busse hier immer neue Schulklassen ausspucken.

Tapas zum Niederknien

Nach einer Siesta, die notgedrungen kurz ausfällt, mache ich mich auf den Weg zu einer Tapas-Bar. Die Touristiker der Stadt haben eine Liste der „fünf besten Tapas-Restaurants“ in dieser an Tapas-Restaurants nicht armen Stadt erstellt, alles höchst subjektiv, wie sollte es anders sein.

Hier ist sie:

  • 1. Casa Montaña in Cabanyal, dem Dorf am Meer;
  • 2. El Colmado de LaLola am Fuße des Micalet, des Glockenturms der Kathedrale;
  • 3. Taperia Hispania nahe dem Kongresspalast;
  • 4. Bar Cremaet am Anfang der Avenida del Puerto;
  • 5. Micub im Mercado de Colón, einer im valencianischen Jugendstil errichteten Markthalle.

Ich lande im Mercado de Colón, allerdings nicht im Micub, sondern in der Bar X.

Tapas in der Bar X

Betreiber der Bar X ist Ricard Camarena, einer der Starköche in dieser auch an Starköchen nicht armen Stadt, ausgezeichnet mit zwei Michelin-Sternen. Ich bin früh dran, die Spanier gehen abends erst gegen 21 Uhr essen. Doch es dauert nicht lange, und jeder Tisch ist besetzt. Die Musik wird anfangs noch einer Cocktailbar gerecht, geht aber mehr und mehr unter im lebhaften Stimmengewirr.

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Entscheidend aber ist, was in den Schälchen ist. Ich teste mich durch den Russischen Salat á la Chef, schwelge bei Tintenfisch in Kimchi-Mayonnaise, knie nieder beim marinierten Umberfisch mit grünem Mojo und Mandeln und kann nur dringend davor warnen, die Brioche mit Kalbsfleisch als letzten Gang vor dem Dessert zu bestellen („To Finish“, so steht es in der Karte), ich jedenfalls war überfordert. Okay, der Wein hätte nicht unbedingt kalt sein müssen, aber das ist Mäkeln auf hohem Niveau. Alles in allem eine kulinarische Offenbarung!

Der Lieblingsdrink der Lokalpatrioten

Fehlt eigentlich nur noch der Absacker. Ein Agua de València, was sonst. Auch hier haben die Touristiker eine Art Hitliste erstellt. Geschichtsbewusste Cocktailfans steuern das Café Madrid an, es gilt als Wiege des Agua de València, hier gab sich die Bohème die Kante. Wer es edel mag, kann zum Beispiel in der Lladró Lounge Bar im exklusiven Hotel Palacio Vallier direkt an der Plaza de la Virgen einkehren.

Nur ein paar Schritte entfernt, fast ein wenig versteckt, liegt das Café de las Horas, in dem es deutlich volkstümlicher zugeht. Allerdings muss man hier erstens ein freies Plätzchen finden und zweitens gibt es das betörende Getränk nur ab 0,5 Liter – und so ein Pott ist mir dann doch eine Nummer zu groß. Ich bin untröstlich, breche theatralisch vor der Theke zusammen, woraufhin der Barkeeper, mit dem ich ins Gespräch gekommen bin, mir ein kleines Gläschen füllt, zum Probieren. Ja, doch, kann man nichts gegen sagen, um mal ein norddeutsches Lob auszusprechen.

Das Altstadtviertel von Valencia

Danach entscheide ich mich gegen das hippe Ruzafa-Viertel und für eine Runde durch El Carmen.

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Rathausplatz

Das Altstadtviertel ist leicht zu finden, vom Rathausplatz mit seinen bunt illuminierten Gebäuden geht man einfach den Weg, den fast alle gehen, vorbei an den immer noch aktiven und wohl unvermeidlichen Verkäufern von Sonnenbrillen, obwohl es bereits dunkel ist.

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Die Geschäfte in El Carmen sind längst geschlossen, so ziemlich alle Rollläden sind mit Graffiti verziert. Mittendrin, hell erleuchtet: das Café Sant Jaume. Es lacht mich an, komm Wolfgang, hier kannst du in Frieden versacken. Aber das mache ich beim nächsten Valencia-Besuch.

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Denn längst steht fest: Ich komme wieder. Dann nehme ich mir Zeit für dieses Café. Und für Cabanyal, ein ehemaliges Fischerdorf, das lange Zeit ein wenig verrufen war, inzwischen aber auch von Touristen entdeckt wurde, immerhin kann man hier im Mittelmeer baden. Und für die Albufera, dem Naturpark vor den Toren der Stadt. Und, und, und …

Jens hat vor ein paar Jahren über das moderne Valencia berichet.

Offenlegung: Die Recherchen vor Ort wurden von Visit Valencia unterstützt.

Wolfgang Stelljes

Wolfgang Stelljes ist ein erfahrener Journalist, der für Tageszeitungen, Magazine und Agenturen tätig ist, mit einem besonderen Fokus auf Reisejournalismus. Er hat bereits Bücher über die Nordseeküste, Groningen und Bad Zwischenahn veröffentlicht. Sein neuestes Werk ist ein Reise- und Lesebuch über das Oldenburger Münsterland, eine Region, die er seit etwa zehn Jahren regelmäßig bereist. Stelljes lebt im Ammerland und bringt auch umfangreiche Erfahrungen aus seiner Tätigkeit als Hörfunkjournalist mit. Für seine Beiträge wurde er mehrfach mit dem Niedersächsischen Medienpreis ausgezeichnet, was seine Anerkennung in der Branche unterstreicht.

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