Mein Ausflug nach Bozen war etwas ganz Besonderes für mich. Ich durfte tolle Menschen kennenlernen, in fremde Traditionen eintauchen und Entschleunigung pur erleben.
Tradition vs. Moderne
Gemeinsam mit drei anderen Bloggern bin ich auf eine ganz spezielle Entdeckungstour gegangen. Zurück in die Zeit, als Handarbeit noch nicht von Maschinen ersetzt wurde und Tradition noch Alltag war.
Das Rohrerhaus ist unsere erste Station. Es wurde bereits 1288 erstmals urkundlich erwähnt und zählt damit zu den ersten und größten Höfen des Sarntales. Ein wunderschönes Haus, das wahrscheinlich einige Geschichten seiner Bewohner erzählen könnte. Auf einem Rundgang durch das Haus dürfen wir uns auch den alten Gewölbekeller und den Backofen aus dem 15. Jahrhundert ansehen, in dem heute – wie damals – nur 4 mal im Jahr Brot gebacken wird. Genau so, wie es auf den Höfen im Sarntal üblich war.
Sehr fasziniert hat mich die Geschichte vom Schalenstein, der Böses abhalten soll. Ganz genau konnte man uns die Herkunft dieses mysteriösen Steines nicht erklären, der auch an Sarntaler Kirchen zu finden sein soll. Man vermutet er ist aus vorchristlicher Zeit, vielleicht als Opferstein?
Im Innern dürfen wir zunächst einen Blick in die Räucherküche werfen. Hier wurde geräuchtert und gekocht. Die arme Hausherrin, die bis zum Kinn in Rauch gestanden hat, die verrußte Decke lässt es erahnen. Heute stehen hier zwei sympathische Bäuerinnen in Tracht und bereiten einige Köstlichkeiten für uns zu, die wir später probieren dürfen.
Sarner Tracht – Liebe zu Tradition
Doch bevor es soweit ist, lernen wir die Sarner Tracht kennen, auf den die Sarner besonders stolz sind. Mit Recht, denn die Kleider sind wirklich sehr schön – und schwer. Eine Festtagstracht wiegt 13-16 kg und besteht aus einem schweren Wollstoff, der sowohl Sommer wie Winter getragen wird.
An der Tracht der Frau kann man nicht erkennen, ob sie verheiratet ist oder nicht, „Zeichen“ gibt es hier nur an der Tracht des Mannes. Ist sein Hut mit einer roten Schnur umspannt, ist er verheiratet, bei grüner Schnur hingegen ist er noch zu haben.
Getragen wird die Tracht heute noch zu Prozessionen und zum Kirchgang, geheiratet wird aber immer seltener in Tracht, weil die Bräute auf ihr weißes Kleid nicht verzichten möchten. Oftmals trägt aber der Bräutigam dazu Tracht, was auch eine sehr schöne Kombination ist, finde ich. Kaufen kann man die Tracht übrigens nicht, schon gar nicht als auswärtiger Besucher.
Die Kleider werden von der Familie oder Bekannten ausgeliehen oder selbst geschneidert, so bleibt die Sarner Tracht allein den Sarner Einwohnern vorbehalten. Ungefähr 8000 € müsste man theoretisch rechnen, wenn man so eine Tracht anfertigen lassen würde (wäre das möglich). Das ist schon eine Investition fürs Leben und weitaus mehr als ein gewöhnliches Kleidungsstück.
Leider können heute immer weniger Frauen eine Tracht nähen, das ist auch der Grund, warum sich Maria und Johann ehrenamtlich im Verein des Rohrerhauses engagieren, um dieses Wissen für zukünftige Generationen zu bewahren. „Mit dem Alter kommt auch das Interesse daran, diese Traditionen zu erhalten und weiterzugeben, mit 30 Jahren hatte ich auch andere Dinge im Kopf“, sagt Maria. Hoffentlich geht es anderen Frauen und Männern des Sarntales ebenso, damit diese wunderschönen Kleidungsstücke auch noch in vielen Jahren so geschätzt werden, wie heute.
Im Rohrerhaus sind verschiedene Trachten ausgestellt, dazu gibt es zahlreiche Hintergrundinformationen zu der Herkunft und zum Gebrauch. Am Fenstersims lehnt ein gerahmtes Bild, es zeigt Maria und Johann am Tag ihrer Hochzeit – natürlich in Tracht. Sie wirken nach all den Jahren noch genauso glücklich wie auf jenem Foto.
Ein seltener Beruf: Messerschmied
Peter Ainhauser ist ebenfalls wie dieses sympathische Trachtenpaar ein Sarner „Urgestein“. Er fertigt Sarner Messer und Pfeifen. Nie würde man beim Anblick seiner männlichen Hände vermuten, dass er zu so einer filigranen Arbeit fähig wäre. 4 Tage benötigt er für ein Messer, das am Ende 550-600 € kostet. Jedes ist ein Unikat und wird vom ersten bis zum letzten Schritt in Handarbeit nach den Wünschen des Kunden angefertigt.
Die Griffe der Messer sind aus Rinderhorn, das gekocht wird, damit es anschließend geglättet werden kann. Da hinein kommen weitere Verzierungen, die genauso wie die Randverzierungen Feinarbeit sind.
Auf jedem Sarntaler Messer finden sich übrigens 9 Monde und 9 Kreuze. 3 ist die magische biblische Zahl: Drei heilige Könige, Dreifaltigkeit, 3 Tage verbrachte Jesus in seinem Grab, usw. Man erhofft sich von 3² potentierte magische Kräfte, z. B. gegen die Wetterhexe, wenn man ein Sarner Messer nach ihr wirft. Ich frage mich, ob es dazu Erfahrungsberichte gibt?
Leider hat Peters Sohn keine Geduld für diese Tätigkeit und so bleibt abzuwarten, ob es auch in der nächsten Generation noch Sarner Messerschmiede gibt, die mir so viel Leidenschaft dabei sind, wie Peter Ainhauser es ist.
Von Geheimverstecken und Fruchtbarkeitshelfern
Bei einem kleinen Rundgang durch das Haus, gibt es auch eine Bauernstube zu sehen, die so eingerichtet ist, wie sie wohl im 19. Jahrhundert ausgesehen haben mag. Hier gibt es sogar schon ein Plumpsklo, das direkt vom Zimmer abgeht, stelle ich erstaunt fest. Das kommt mir wahnsinnig fortschrittlich vor, denn obwohl ich viele Freilichtmuseen besucht habe, so etwas habe ich noch nie gesehen. In dieser Region scheint das aber durchaus üblich zu sein, denn wie uns erklärt wird, hatten das zu jener Zeit schon sehr viele Bauernstuben.
Doch das ist nicht das Einzige überraschende in diesem Zimmer. Es gibt nämlich auch noch ein kleines Geheimversteck für Wertsachen, versteckt in einem kleinen Verschlag im Schrank. Auffallend ist auch die schöne Bauernmalerei an den Möbeln. Ein Symbol, das immer wieder auftaucht, ist das Sonnenrad (zum Beispiel in der Mitte des Bettes), was die Fruchtbarkeit fördern soll. Erst später wurde das Sonnenrad in die christliche Symbolik übernommen.
Tischlein, deck dich – aber bitte auf südtiroler Art
Nach so vielen Eindrücken freuen wir uns im Anschluss an die kleine Hausführung über die traditionellen Südtiroler Gerichte, die auf dem Tisch für uns angerichtet wurden.
Zu Brot, Käse und Schinken wurden Striezel – eine Sarner Spezialität – sowie Krapfen und Speckknödel mit Krautsalat gereicht. Alles hergestellt aus Bauernhofprodukten der Region.
Aus der Idee heraus, einfache, traditionelle Speisen aus regionalen Hofprodukten anbieten zu wollen, ist mit „Ollerhond Selbergmochts“ eine engagierte 14köpfige Catering Truppe (allesamt ansässige Bäuerinnen) entstanden, die heute bis zu 1000 Personen beköstigen kann und auch über das Sarntal hinaus sehr gefragt ist. „Jeder hat seine Spezialität, die er besonders gut zubereiten kann – so ergänzen wir uns optimal“, meint Rita, während sie unsere Teller füllt.
Während eines kurzen Spazierganges durch den Ort haben wir noch einmal Gelegenheit, den Blick über das Tal schweifen zu lassen, es ist einfach wunderschön hier! Es sieht aus wie in einem Heimatfilm. Ich liebe diese Idylle.
Im zweiten Teil meiner Südtirol-Reise erzähle ich euch noch mehr von Südtiroler Handwerkskunst, warum ich in der Bevölkerung einer 5%-Minderheit angehöre und warum Schafwolle „singen“ muss.
Adresse Rohrerhaus:
Runggenerstraße 10
39058 Sarnthein
Südtirol – Italien
Das Rohrerhaus ist in den Sommermonaten am Wochenende geöffnet. Die genauen Öffnungszeiten sind auf der Homepage nachzulesen. Der Eintritt ist frei!
Die Räume können übrigens auch für Veranstaltungen gebucht werden – gerne in Kombination mit dem Catering Team von Ollerhond Selbergmachts.
Kontaktdaten Ollerhond Selbergmachts:
info@selbergmochts.it
Telefon: 348 29 47 224
Tipp: Wenn der nächste Südtirol Urlaub noch weit ist, kann man sich die Wartezeit mit den leckeren Rezepten nach südtiroler Tradition etwas verkürzen.
Auf der Suche nach der passenden Unterkunft ist das regionale Buchungsportal Booking Südtirol eine sehr große Hilfe. Hier findet jeder von der kleinen Pension, über Ferienwohnung, bis hin zum Luxushotel, die für ihn beste Adresse.
- Maria war eine der anderen Bloggerinnen im Rohrerhaus. Was sie beeindruckt hat, lest ihr hier.
- Gerhard hat sich in Südtirol im Paraglyding versucht. Und es hat wohl richtig viel Spaß gemacht!
- Britta hat Südtirol bei Nacht erlebt. Spannend!
Offenlegung: Wir wurden von Booking Südtirol zu einer Bloggerreise nach Südtirol eingeladen
[…] gibt es besondere Orte – wie z.b. das Rohrerhaus, welches viele längst vergessene Handwerksberufe der Region […]
[…] Meinem ersten Bericht über Südtiroler Traditionen […]
Ein wirklich schöner Artkel, der einen tollen Einblick gewährt und mich sogar ein wenig neidisch werden ließ ;)
Besonders die Trachten haben es mir angetan, ich finde es toll, dass die beiden Damen diese Nähkunst weitergeben. Und das Essen sieht grandios aus.
Liebe Grüße,
Angelique